Aachens magische Kräfte

Damit eines von vornherein klar ist: Ich habe überhaupt keinen Bezug zu Aachen. Ich nähere mich Aachen quasi aus dem Hinterhalt. Wie die Spinne im Netz, die ihre Beute erst einmal gelangweilt hängen lässt, um dann umso gründlicher und vor allem endgültig zuzuschlagen. Bei diesem Bild ist Aachen die Spinne – und ich die Beute, die pottdoof im Netz hängt.

Ja, ich bin das Opfer. Und Aachen ist die Täterin. Warum eigentlich „die“? Heißt es die Aachen, das Aachen, oder der Aachen? Wie eigentlich? O.k., es ist wohl für wirkliche Aachener nur eines, nämlich „dat Aachen“. Also, dat Aachen hat vor allem viele Regentage und durch Aachen fließt kein nennenswerter Fluss. Das geht ja noch irgendwie, was aber wirklich schlimm ist – Aachen liegt nicht am Meer. Das Aachenwasser war noch nie angenehm verteilt an Stellen und Örtlichkeiten, die mir was bringen würden. Nein, Aachen hat nur Wasser von oben. Das ruiniert die Frisur und Freizeitplanung. Allerdings ist da auch die andere Seite. Wo kann man schöner extra dann spazieren gehen, wenn es regnet? Wo wirkt das bescheuerter als in Aachen, wo es sowieso immer regnet, und macht gerade deshalb so viel Spaß? Was eigentlich gegen Aachen spricht, spricht doch wieder für Aachen!

Das ist die Ursache für eine tiefe existenzielle Verwirrung, die den Aachener schlechthin charakterisiert. Die schöne Redewendung „Ja, aber…“ kommt ursprünglich aus Aachen. Glauben Sie nicht, dass Aachener wirklich wüßten, was sie wollen. Aachener sind grundsätzlich verwirrt. Aber, keiner weiß das besser zu tarnen als der Aachener als solcher. Eine nähere Begründung dieser These? Sind Sie Aachener? Gibt es Zeiten. in denen Sie verwirrt sind? Na, bitte.

Ich behaupte, dies liegt an Aachen. Quasi in der Luft. Wenn wir länger hier wohnen, lernen wir damit zu leben. Es ist eben, wie es ist. Und Punkt. Et hätt noch immer jut jejangen, wie der Kölner sagt. Ja, der Aachener schlechthin geht auch gern mal nach Köln und holt ursprüngliche Lebensweisheiten wieder zurück nach Hause: nämlich in unser Aachen.

Der Aachener ist aber nicht nur geprägt von in der Luft liegender Ambivalenz, nein, des Aacheners Verwirrung geht in die Sphären der Trinidität. Der Aachener ist von klein auf konfrontiert mit der Zahl drei, nämlich mit Belgien, Deutschland und den Niederlanden! Dies ist folgenreicher, als man erst einmal annimmt, denn: Nirgendwo ist der Aachener wirklich auf gesichertem Terrain. Glaubt er sich selbst gut und sicher stehend auf Aachener Grund und Boden, so hat er dennoch keine Gewissheit. Denn geht er nur ein paar ambitionierte sonntägliche Schritte in westlicher Richtung, steht er – bevor er überhaupt etwas bemerken konnte – unerwartet und plötzlich auf fremdem Hoheitsgebiet! Ja, die Menschen um ihn herum sprechen plötzlich nicht mehr seine Sprache. Da hilft es auch nicht, wenn die Niederländer und Belgier ihn und sein Aachener Deutsch noch verstehen. Der Aachener ist ja von Natur aus intelligent und fähig zur Reflektion und spürt deshalb übergenau seine eigene Unzulänglichkeit. Hier endet seine Sicherheit. Selbst noch verstanden zu werden, tröstet nicht über den Verlust hinweg, dass man die anderen nicht mehr versteht. Und hier haben wir sie wieder, die Aachen-typische existenzielle Verwirrung. Der Aachener als solcher ist ein Borderliner. Immer an der Grenze, vor allem der eigenen.

Das verwirrt. Zumal, dies passiert dem Aachener nicht nur, wenn er ein paar Schrittchen westwärts spaziert, nein, eigentlich ist er nirgendwo sicher, jedenfalls nicht, wenn er nur lang genug geradeaus geht! Und deshalb geht der Aachener als solcher gerne und vorzugsweise im Eck, also eben lieber um die Ecken, das ist weniger gefährlich, quasi im Dreiländereck. Der Aachener geht gerne im Kreis. Aachen als solches ist ein großer Parcours. Das wussten wir schon vor dem CHIO. Die Pferde kommen deshalb nach Aachen, weil sie fühlen, wie Aachener fühlen. Pferde und Aachener, beide gehen im Kreis, wenn auch jeweils unterschiedlich motiviert.

Der Aachener als solcher bleibt eben in Aachen. Er zieht nicht unbedingt um. Er weiß von klein auf, was es heißt, fremd zu sein. Und genau an diesem Aachener Umstand wächst der Aachener. In der Krise liegt die Chance. Die alten Chinesen haben sich deswegen schon vor Jahrtausenden ein Schriftzeichen gespart. Sie fanden, ein Schriftzeichen für Krise und Chance reiche aus, da das eine sowieso immer an das andere gebunden ist. Wenn dem nicht geschichtliche Daten im Wege stehen würden, würde ich behaupten, der Aachener als solcher weiß das schon viel länger als die alten Chinesen. Der Aachener weiß das quasi aus eigener Krise heraus und hat daraus viele Chancen für Alle gemacht. Oder was glauben Sie, warum der Aachener sich in sein Aachen so viele Restaurants und Kneipen gebaut hat? Ja, er möchte der Verwirrung und dem daraus resultierenden Fremdheitsgefühl jederzeit etwas entgegenzusetzen wissen. Nämlich seine Kneipen. Dort kehrt er dann ein und fühlt sich nicht fremd, sondern wohl und sicher und zu Hause. Eben nicht in Belgien oder den Niederlanden, wo die Menschen das Aachener Deutsch verstehen und uns Aachener damit so beschämen, weil wir kein niederländisch und kein belgisch sprechen! Und bei ein, zwei Gläschen Bier gleichen sich die Sprachen sowieso an.

Von wegen Angleichung: Viele Zugezogene und Studenten fühlen sich hier wohl, auch außerhalb der Kneipen. Vielen passiert es, dass sie irgendwie in Aachen „hängen“ bleiben – ich sagte ja schon: Spinnennetz!

Der Aachener als solcher hat Herz und Verständnis für alles Menschliche und ist nicht so schnell zu schocken. Weder durch nordische Kälte noch durch rheinische Fröhlichkeit, nicht durch süddeutsche Dialekte und erst recht nicht von Menschen anderer Nationalität. Der Aachener ist weltoffen, denn er weiß, wie plötzlich nah die Grenzen sind!

Und noch eins: Der Aachener überwindet die Polarität und die Ambivalenz der Zahl Zwei, er wächst über das gewöhnliche Ying und Yang hinaus. Tja, er erweitert diese Polarität durch sein Dreiländereck. Wo ein Eck, ist auch immer die Drei. Und drei sind immer mehr als zwei. Ja, das ist Aachens Magie. Eben genau so: Wenn zwei sich streiten, versöhnt sie das Dritte! Außerdem sind aller guten Dinge drei. Und alle guten Dinge fühlen sich angezogen durch Aachens Trinidität. Insofern ist Aachen ein Sammelbecken und Anziehungspunkt für alles Gute. Denken Sie einmal darüber nach, da ist wirklich was dran. Nicht verstanden? Macht nichts, dann nähern Sie sich immer mehr dem speziellen Aachen-Feeling. Tja, Aachens Charme liegt zwischen den Zeilen. Und genau dort zieht der Aachener als solcher, mit und ohne Pferd, seine magischen Kreise.

Glauben Sie mir! Beobachten Sie mal einen Aachener von morgens bis abends. Und wenn Ihnen dabei nicht schwindelig wird, dann stimmt irgend etwas nicht. Eine Erklärung gibt es dann aber dafür: Sie sind selber Aachener und beobachten aus Versehen in Köln einen in Kapstadt geborenen portugiesischen Langstreckenläufer…


 

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1 Antwort

  1. Diverse (Archiv) sagt:

    Und dies sind die von der alten Website herüberkopierten Kommentare:

    Hofmann, Norbert, Prof.med.
    (Dienstag, 23 Juli 2013 18:43)
    Frau Ronneberg, grossartig geschrieben; so genau wie man in Aachen eben sein muss, und dabei doch umfassend; orientiert, fast handfest und doch fast schwärmerisch. Eben mit viel Liebe, aber mit einer genauen und hinschauenden Liebe geschrieben.
    Ein ehemaliger Kaiser-Karl-Schüler

    Sarah
    (Donnerstag, 19 Dezember 2013 17:19)
    “Belgisch”, aber sonst geht es noch ja? Wie hört es sich denn an, dieses “Belgisch”? Zu Ihrer Information: Das an Aachen angrenzende belgische Gebiet ist offiziell deutschsprachig. Deutsch ist dort Amtssprache, Muttersprache und Umgangssprache. Also dürfte es schon einmal keine Sprachschwierigkeiten geben, wenn der Öscher an deutschen Feiertagen nach Eupen zum Delhaize einkaufen fährt.

    René H. Bremen
    (Dienstag, 06 Mai 2014 14:30)
    Liebe Frau Ronnenberg,
    seit Ihrer Aachen- Beschreibung sind immerhin 4 Jahre ins Land gegangen und das alte Vorurteil mit dem Regen stimmt einfach nicht mehr. Wenn man als Aachen-Bewohner die deutsche oder auch nur die NRW-Wetterkarte beobachtet, dann kann man zunehmend feststellen, daß wir hier sehr oft besseres Wetter und mehr Sonne als das restliche Land haben. Ich bin jedenfalls zufrieden “met et Öcher Weär”! (6.05.2014)

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