Drei Schwestern beim Chinesen

Meine Oma Maria traf sich in den Siebziger Jahren einmal im Monat mit ihren beiden in Stolberg lebenden Schwestern in Aachen zu einen gemeinsamen Einkaufsbummel und einem gemeinsamen Restaurantbesuch. Im Vorfeld muss darauf hingewiesen werden, dass sich die drei Schwestern im Aussehen und Auftreten absolut ähnlich waren. Die Drei haben mich früher immer an Miss Marple erinnert, resolut und forsch und das direkt im Dreierpack.

Von einem dieser Treffen wird in meiner Familie schon seit Jahrzehnten mit großer Freude immer wieder erzählt. Meine Oma Maria, die in der Schlossstraße wohnte, organisierte für ihre Schwestern Margarete und Lenchen auch den Mittagstisch und reservierte in unterschiedlichen Lokalitäten einen Tisch. Wichtig dabei war, der Tisch wurde immer für Punkt 12 Uhr reserviert und wenn möglich sollte es ein Tisch am Fenster sein. Zu einem dieser Treffen hatte meine Oma im Vorfeld einen Tisch beim Chinesen in der Franzstraße für 12.00 Uhr reserviert. Meiner Oma war beim Vorbeigehen aufgefallen, dass man dort schön am Fenster sitzen kann und hat dort spontan reserviert, ohne darauf zu achten, das dies ein chinesisches Esslokal war.

Die drei Schwestern, alle im betagten Alter von über 70 Jahren, trafen sich am Aachener Hauptbahnhof, wo Margarete und Lenchen aus Stolberg mit dem Zug anreisten. Von da aus zogen die noch rüstigen Damen in Richtung Innenstadt zur Adalbertstraße wo das erste Geld ausgegeben wurde.

Diesmal hatte man aber die Zeit nicht im Auge behalten und so kamen die drei Schwestern erst gegen 12.20 Uhr im Esslokal an. Dort mussten sie erstaunt feststellen, dass der reservierte Tisch bereits neu vergeben war. Das wollte meine Oma aber auf keinen Fall akzeptieren und bestand darauf, den Tisch am Fenster zu bekommen. Nach einer lauten Diskussion mit der Kellnerin hatten die Gäste, die bereits an dem Fenstertisch Platz genommen hatten, ein Einsehen und belegten einen neuen Tisch im Inneren des Restaurants. Mit dem positiven Gefühl des Siegers nahmen die drei Damen am Fenstertisch Platz, bekamen die Speisekarte und bestellten ihre Getränke. Das Angebot der Kellnerin einen Tee zu bestellen, lehnten die Schwestern mit der Begründung ab, man sei doch nicht krank.

Ohne vorher in die Karte zu schauen gaben die Damen ihre Bestellung auf. Meine Oma bestellte wie immer Forelle Müllerinnen Art mit frischen Kartoffeln. Dabei lag die Betonung auf „frische“ Kartoffeln. Manchmal folgte auch die Nachfrage: „Die Kartoffeln sind doch wirklich frisch, oder?“ Lenchen orderte Gulasch mit Nudeln und Salat und Margarete bestellte ein Kottlett mit Bratkartoffeln und einem Spiegelei.

Nachdem die Drei ihre Bestellung aufgegeben hatte folgte ein Moment der Stille. Nach einigen Sekunden sagte die Kellnerin in ruhigem Ton, dass sie die Bestellung nicht annehmen könnte weil die gewünschten Gerichte nicht auf der Karte stünden. Es folgte eine wohl lautstarke und anhaltende Diskussion mit dem einstimmigen Hauptargument: „Das bestellen wir immer!“ Dann gaben die Schwestern, ohne in die Karte zu schauen, eine neue Bestellung auf: Königinnen Pastetchen mit Reis, Wiener Schnitzel mit Pommes Frites und Bratwurst mit Rotkohl und frischen Kartoffeln.

Als auch diese Bestellwünsche von der Kellnerin nicht erfüllt werden konnten, unterhielten die rüstigen Rentnerinnen mit ihrer lauten Diskussion die anwesenden Gäste des gesamten Lokals. Die immer wieder laut vorgetragenen Hauptargumente waren: Diese Gerichte würden sie schließlich schon seit Jahren immer bestellen und hätten diese bisher auch ohne Probleme serviert bekommen.

Ich bin wirklich froh bei dieser mehr als peinlichen Situation damals nicht dabei gewesen zu sein. Anwesend war ich aber bei einem Essen in einem Restaurant in Stolberg wo Lenchen vom Kellner nach ihrer Steakbestellung gefragt wurde: „Medium oder durch?“ Darauf antwortete Lenchen: „Nein, nicht durch, hier!“

Doch zurück in die Franzstraße zum Chinesen. Bevor die Situation weiter eskalierte, standen die drei unzufriedenen Gäste auf, zogen sich ihre Mäntel an und verließen das Restaurant ohne sich um die Getränkerechnung zu kümmern. Bei späteren Erzählungen wurde dies damit begründet, dass man ja schließlich auch nichts davon getrunken habe. Noch Jahre später wollte meine Oma nicht wahrhaben, dass sie für ihre Schwestern in einem Chinesischen Restaurant einen Tisch reserviert habe und dort anschließend gute deutsche Hausmannskost bestellt hätte.

Meine Oma und ihre Schwestern sind schon lange tot und mit dieser kleinen schrulligen Geschichte erinnern wir uns gerne an sie. An diese Geschichte muss ich bis heute denken, wenn ich in der Franzstraße an dem Chinesischen Restaurant vorbei gehe. Dann sehe ich in Gedanken meine Oma mit ihren beiden Schwestern am Fenstertisch sitzen. Das verleiht mir stets ein Lächeln.


 

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1 Antwort

  1. Hannah sagt:

    Das ist wirklich eine amüsante Geschichte 🙂
    Etwas starrsinnig aber doch liebenswert .. so denke ich auch öfters an meine Omas und Großtanten.

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