Griechische Sonne mitten in Aachen: Der Domkeller

Der Domkeller ist eigentlich gar keine Kneipe, sondern eine Institution. Er hat Geschichte geschrieben. Vor vierzig Jahren ging, wer jung war, in die Wirichsbongardstraße oder in die Schildstraße. Schwer vorstellbar, aber dort tobte das Nachtleben, vom Kyro oben an der Ecke Harscampstraße bis zum Why Not oder dem Bimmelbähnchen. Im Hochschulviertel gab es gerade mal den Theo, die Stammzelle aller Griechen-Kneipen. Die meisten, die später florierende Studentenkneipen betrieben, waren dort noch Kellner. Und sie sahen natürlich, was sie jeden Abend in der Tasche hatten. In der Pontstraße waren nur bürgerliche Lokale – etwa dort, wo heute das Labyrinth ist -, aber nichts für Studenten – außer dem quasi exterritorialen Malteserkeller. Charlys Leierkasten, Runi oder der Schwan waren vorgeschobene Posten der gastronomischen Expansion.

Dann kam Wolfgang Kreusch und setzte zum Sprung über den Graben an – buchstäblich. In der terra incognita am Hof eröffnete er im Dezember 72 den Domkeller, natürlich auch in einem ehemals bürgerlichen Haus. Das war ein Wagnis, aber es verlief erfolgreich und verlagerte letztlich das komplette Amüsierzentrum auf die andere Seite der Stadt. Die Wirichsbongardstraße verfiel in Agonie, während sich die Kneipenszene immer weiter in Richtung TH fraß. Heute scheint das selbstverständlich, damals war es eine Pioniertat. Auch die heute übliche Außengastronomie fing hier erst wirklich an.

Der Domkeller schlug ein wie eine Bombe und grub der alten Szene das Wasser, vor allem aber das Bier ab. Und das, obwohl Jazzmusik lief und keine Kompromisse gemacht wurden. Wie ein Magnet zog der Laden das Publikum an, von der Akropolis bis zur legendären „Null“, die sich tapfer im Niemandsland der Mörgensstraße hielt. Kreusch hätte reich werden können, aber geblieben ist ihm nichts. Er hatte die Lust verloren, sagt er. Wer dabei war, erinnert sich auch, dass ihm der Erfolg vielleicht zu Kopfe stieg. Er versuchte es später noch einmal mit der “Goldenen Kette”, wo heute ein Spielzeugladen ist, aber wieder gab es diese Geschichten, die er dann von Brauereien und Tricksereien erzählte. Bald hing jedenfalls wieder eine Kette vor der “Kette”. Kreusch probierte es dann später noch einmal in Lüttich, aber dort hat man wohl nicht unbedingt auf einen Wirt aus Aachen gewartet.

domkellerVon links: Michael Salagoudis † mit Tochter Sandra sowie dem Gründer Wolfgang Kreusch.
(Foto: Heinrich Schauerte)

 

Vor 30 Jahren übernahm dann Zeus, der Göttervater, den Domkeller, bürgerlich Michael Salagoudis. „In voller Fahrt“ wollte Kreusch übergeben, und Michael war der einzige, der das Konzept akzeptierte. Überhaupt ist es das eigentliche Erfolgsrezept des Domkellers, dass sich nichts ändert. Wer immer gegen diesen Grundsatz verstieß, demontierte auch ein Stück Mythos. Denn Menschen wollen auf Dauer gar keine Moden, sie wollen, dass alles bleibt, wie es ist. Sie wollen wie eh und je von denselben Kellnern bedient werden, die dann selbst zur Institution werden. Sie wollen keinen modernen Schnickschnack, sondern die alte Theke mit dem „Krau-Eck“, und darüber den alten Spruch lesen „Et sall Üch zeleäve net schleäht jooeh“, den Michael in fast echtem Öcher Platt zitieren kann. Sie wollen auf denselben wackligen Stühlen sitzen wie ihre Vorfahren, sie wollen vergilbte Wände und schummrige Lampen, sie wollen, dass Königin Luise aus ihrer Ecke stumm und streng auf sie herabschaut und Zeus mit dem Lorbeerkranz, der noch aus dem Leierkasten stammt.

Und vor allem dass ihr Zeus, der Göttervater, der ehrfurchtgebietende Patron Michael, wie immer über den irdischen Niederungen schwebt und ihnen laut, fröhlich und natürlich völlig unausgewogen die Welt erklärt. Wenn man Leute treffen will, braucht man nur hierherzukommen, irgendwer ist immer da und zu bestimmten Zeiten alle.

So machte Michael den Domkeller endgültig zu dem, was er dann geblieben ist. Er selbst entwickelte sich zur Grauen Eminenz der Griechen-Szene, durchlebte all ihre Höhen und Tiefen. Letztere führten ihn sogar ins Gefängnis, als die Steuerfahndung zuschlug. Er wurde zum Sündenbock, weil er nicht so clever war wie die anderen, die nur ans Geld dachten. Nur er und seine Frau Hilde fuhren ein, sie saß drei Monate mit den billigsten Kriminellen, das nagt bis heute an ihm. Finanziell war die Sache sein Ruin.

Michael überstand das alles. Was war das für ein Fest, als er seine 15 Monate abgesessen hatte! Immer wieder sang Müller-Westernhagen „Ich bin wieder hier, in meinem Revier“. Wieviele Teller mussten dran glauben! Tochter Sandra reichte sie ihm bereitwillig an, konnte ihn aber gerade noch bremsen, als er anfing, im südländischen Freudentaumel die Stühle zu zertrümmern.

Er war und blieb die entscheidende Figur, wie auch immer die Besitzverhältnisse waren. Er hat nicht aussortiert, er hat Respekt vor jedem Menschen, das hat er auch den Kellnern eingeschärft. Für mich ist der Domkeller ein Raum der Liebe, sagt er, wie es einem wahren Göttervater geziemt. Viele haben sich hier kennengelernt, und die Leute merken, hier werden sie akzeptiert.

Wo Michael ist, das ist etwas los, da ist Geselligkeit und Spaß, da ist es laut und fröhlich, da wird philosophiert und politisiert, da fließt das „Kinderbier“ in Strömen. Das war und ist ein Stück griechische Sonne mitten in Aachen. Hoffen wir, dass sie trotz seiner Krankheit noch lange scheint. Denn so etwas wie den Domkeller wird es nie wieder geben.


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5 Antworten

  1. Süleyman Gündogan sagt:

    jedesmal wenn ich koche, denke ich an diese großartige mensch und mein ewige freund. warum nur beim kochen , werden manche fragen. es ist nur ein vorwand.

  2. Molitor sagt:

    Es wäre toll,wenn ich mir diesen Superbericht kopieren könnte.Ich sammele papiermäßig alles über Aachener Kneipen und eine so tolle GeLife-Geschichte findet man selten.Meine Sammlung wäre ein gutes Stück reicher. Güße: Jürgen Molitor

    • Unser Aachen sagt:

      Lieber Herr Molitor, es gibt Gründe, warum wir das Kopieren zu verhindern versuchen… Aber ich schicke Ihnen gerne in absehbarer Zeit ein PDF von dem Bericht, o.k.? Herzliche Grüße von Uschi Ronnenberg

  3. Caroline Bahri sagt:

    Lieber Heinrich Schauerte,

    toller Artikel, der alles über meine jugendlichen wilden Jahre erzählt. Ich war ab 1972 Sekretärin von Prof. Cramer – Ulla Brülls – , falls du dich erinnerst. 1982 bin ich aus Aachen weg, lebe jetzt in Cannes (France), werde bald Aachen besuchen und gerne die Orte wiedersehen, die du so liebevoll beschreibst. Danke dir!

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