Domführer Beckers
Aber neben Stephanys Domführungen mit wissenschaftlichem Anspruch gab es damals, neben einigen anderen, noch „die ganz andere Domführung“, nämlich die durch einen gewissen Herrn Beckers, einen stattlichen älteren Herrn; sie wurde unter vielen meiner Freunde und Bekannten zur „Kultveranstaltung“ wegen der höchst eigenwilligen, keinen Widerspruch zulassenden Erläuterungen des Domführers, des für Herrn Beckers charakteristischen, leicht näselnden, einlullenden „Tonfalls“ in Öcher Hochdeutsch, und wegen des Erlebnisses seines – unnachahmlichen – schleppenden, aber doch sehr raumgreifenden Ganges, unterbrochen von plötzlichen Ausfallschritten, mit dem Herr Beckers durch den Dom manövrierte.
Aus seinem Erläuterungsprogramm sind mir zwei Passagen wörtlich bis auf den heutigen Tag im Gedächtnis geblieben, und einige meiner Bekannten von damals fordern mich noch heute zuweilen auf: „Walter, mach’ doch noch mal den Beckers!“
Wohlan, Herrn Beckers zu Ehren:
In der Chorhalle: „Dat es die Schtrahlenkranzmadonna mit das Jesulein. Vorne is ne Mutterjottes mit das Jesulein, hinten is ne Mutterjottes mit das Jesulein.“ – Und dann, völlig überraschend und eigentlich überflüssig: „Vorne auch!“
In der Nähe des Kaiserstuhls beim Schola-Gestühl: „Diese Orjel hat zwei Schpieltische; einen hier oben, einen da unten. Un dä Orjanist had ene Fernseher, für dat dat dä sieht, wie weit dat der Bischof da unten mit die Messe is.“
Manche Leute hatten sichtlich Probleme, nicht ständig laut loszuprusten vor Lachen. Manche Leute sah man andererseits auch nicht nur einmal in Herrn Beckers Domführung. Und mir sind mehrere Versuche bekannt, Herrn Beckers’ Domführung mit einem Kassettenrekorder mitzuschneiden. Er hat es aber immer bemerkt, und er wurde dann gewöhnlich sehr ungehalten, auch mitten im Dom. – Aber er verdient trotzdem ein ehrendes Andenken.
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Geboren 1955 im Aachener Mariannen-Institut, aufgewachsen nahe Krugenofen, zwischen Kamper-Viertel und Burtscheid. Schulbesuch: Reumontstraße, Franzstraße, Rhein-Maas-Gymnasium. Studium der Geographie, Anglistik und Romanistik. Seit 1986 im deutschen Diplomatischen Dienst; Auslandsposten: Kairo, Jaunde, Bukarest, Nairobi, Lagos (Generalkonsul), Cotonou (Botschafter). Derzeit Sonderbeauftragter für den Sahel.
Fliegt, via Paris, auf dem Weg in die Sahel-Staaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad häufig leider nur über Aachen hinweg. Denkt dabei immer an den Dom und an sein Stammlokal “Labyrinth”, das schon das seines Großvaters mütterlicherseits Theodor Steinhart war; da hieß es noch “Beckers” in der Pontstraße.
Ist betrübt über die Entwicklungen im Pont- und Bergdrieschviertel, wo er sein Standbein hat.