Gartenglück auf Ronheide
Den Kleingartenverein Ronheide gibt es seit 1920, er befindet sich am Ronheider Weg. Heute (2015) finden wir hier 101 Schrebergärten.
Mein Vater Josef, damals 24 Jahre alt, verheiratet mit meiner Mutter Katharina (oder Käthi wie sie fast alle nannten) zögerte nicht lange und übernahm das Schrebergartengrundstück. Mein Bruder Heinz und meine Schwester Helma waren bereits auf der Welt, ich sollte mich erst 1957 dazu gesellen.
Gegen eine kleine jährliche Pacht an die Stadt Aachen konnte man das zugewiesene Land bearbeiten. Es handelte sich allerdings um ein Stück reines Brachland, überwuchert mit Gras und Unkraut – sonst nichts! Ach doch etwas! Ein kleiner Pflaumenbaum wurde gratis von der Stadt Aachen gepflanzt.
Zunächst fuhr mein Vater regelmäßig nach Feierabend mit seinem Moped zum Garten und bearbeitete Stück für Stück den Boden, entfernte Gras und Unkraut, grub die Erde um und legte Beete an. Aus dem alten Garten an der Eupener Straße holte er mit einem Karren Sträucher, Stauden und Blumenzwiebeln und pflanzte sie wieder ein. Er legte in der Mitte einen Weg an, an dessen Rändern er viele Tulpenzwiebeln einsetzte. Öffnete man das Gartentor ging es zunächst einen steilen Hang hinab. Deshalb baute Josef hier eine Treppe mit Geländer. In der Gärtnerei, die sich am Eingang zur Gartenkolonie befand, erstand Josef einen Apfel- und einen Pfirsichbaum und Erdbeerpflanzen. Nach und nach entstanden so immer mehr Beete.
Nachdem der Garten einigermaßen Gestalt angenommen hatte, kam am Wochenende die ganze Familie mit in den Garten. Meine Erinnerungen daran sind fast immer mit schönem Wetter, Sonne, draußen Spielen, duftenden Blumen und viel Freiheit verbunden. Und an die leckeren Kartoffeln, die direkt aus der Erde gezogen auf einem kleinen Spirituskocher gargekocht wurden und mit Salz und Butter gegessen wurden. Einfach lecker! Die Butter nahm meine Mutter in einer runden verschraubbaren, orangefarbenen Plastikdose mit, und weil es keinen Strom und auch keinen Kühlschrank gab war sie immer ziemlich weich und halbflüssig. An den Geruch des Spirituskochers erinnere mich noch heute – fast jedes Sylvester wenn wir Fondue machen und ich Spiritus in den Rechaud fülle.
Ich war als Kind kein „großer Esser“. Alles was ich an Gemüse mochte, waren rohe Möhren und das einzige Obst, das ich aß waren Äpfel. Mich interessierten also leuchtrote Erdbeeren überhaupt nicht wenn sie im Garten reif waren. Mein Bruder Heinz bot mir einmal 50 Pf an, wenn ich eine Erdbeere essen würde. Das war damals viel Geld für mich. Aber ich glaube, er wusste genau, dass ich mich nicht dazu bereit erklären würde. Heute zählen Erdbeeren zu meinem Lieblingsobst, und ich kann nicht genug davon bekommen.
Es wurden auch Stangenbohnen und dicke Bohnen angepflanzt. Auch die dicken Bohnen fand ich besonders schrecklich. Ich habe sie nur gerne aus den Schalen raus gepuhlt. Meine Eltern liebten beide dicke Bohnen mit Bohnenkraut, es roch ja auch lecker, aber essen?!
Aus Opas altem Garten stammten die Sträucher mit roten und schwarzen Johannisbeeren. Ich glaube, die wurden alleine zur Likörherstellung angepflanzt. Die reifen Beeren wurden zunächst gepresst, als Hilfe diente hier ein umgedrehter Hocker mit einem Küchentuch bespannt, sie wurden dann mit Zucker und Korn in Flaschen gefüllt und mussten dann eine gewisse Zeit „ziehen“. Der Likör hieß dann „Aufgesetzter“ und war bei den Erwachsenen sehr beliebt. Im Winter wenn es kein frisches Obst aus dem Garten gab machte meine Oma gerne „Eierlikör“, den sie aus einer Mischung von Eigelben, Zucker, 10%iger Dosenmilch (sie schwor hier auf „Bärenmarke“, notfalls „Glücksklee“) und reinem Weingeist, den sie in der Apotheke holte, herstellte. Wir Kinder durften auch schon mal eine „Klitzekleinigkeit“ probieren, wenn wir bei Oma und Opa zu Besuch waren.
Mein Opa hatte schon früher immer Stachelbeer-, Johannisbeer- und Kirschwein hergestellt. Das übernahm mein Vater dann später. Ich erinnere mich noch gut an die großen Gärballons mit den Gäraufsätzen, die im Keller oder im Schlafzimmer standen und vor sich hin blubberten. Ganz geheuer war mir das allerdings nicht. Die Zutaten und das Zubehör für die Weinherstellung, wie Weinhefe, Schläuche zum Absaugen, Gäraufsätze u.a. besorgten wir in einem Laden in der Zollernstraße. Mein großer Bruder Heinz hat mir erzählt, dass er manchmal heimlich am Obstwein probiert hat( „lecker, lecker“) und die entnommene Menge, dann durch Wasser ersetzt hat.
Was noch fehlte in unserem Garten, war ein Gartenhaus. Mein Vater stellte bei der Stadt einen Antrag auf Beihilfe und erhielt 100 DM Zuschuss, mit der Auflage sich an bestimmte Maße zu halten.
Rohbau des Gartenhäuschens und fertiges Gebäude mit dem Frühbeet im Vordergrund
Die vorgegebene Größe war allerdings sehr klein und da unsere Familie inzwischen auf 6 Personen angewachsen war, meine Schwester Henny kam 1959 auf die Welt, baute er das Haus zunächst nach Vorschrift und erweiterte es dann um eine Glasveranda, die aus alten Fenstern bestand. Im Haus befand sich ein Tisch mit Stühlen, ein altes Sofa und ein alter Küchenschrank und ein kleiner „Bollerofen“. So konnte man sich auch bei schlechterem Wetter oder wenn plötzlich ein Gewitter kam hier aufhalten. Allerdings hatten wir Kinder schon eine ziemliche Angst, wenn wir im Haus saßen und es über uns donnerte und blitzte und der Regen auf das Dach des kleinen Häuschens prasselte.
Ich fuhr inzwischen gerne mit meinem Dreirad den Gartenweg rauf und runter oder spielte mit meinen Geschwistern im Sandkasten. Unsere Sandeimerchen waren Reklameeimerchen der Firma Cote dór, die zuvor mit gemischten Bonbons oder Chocotoffs gefüllt gewesen waren, die wir bei unseren Ausflügen nach Moresnet/Belgien gekauft hatten. Mein Vater kaufte sich bei diesen Gelegenheiten immer eine Stange Belga-Zigaretten und meine Mutter große Moresneter Weißbrote, die wir Kinder liebten, vor allem mit der leckeren Chocopasta drauf.
Am Ende des Gartengrundstücks hinter dem Häuschen und auch schon hinter der Grundstückgrenze, floss ein kleiner Bach vorbei. Mein Vater hatte ein Röhrensystem gebaut mit dem er Wasser dort abzweigte und es in einem Becken sammelte, damit er immer Gießwasser für die Beete zur Verfügung hatte. Zusätzlich hatte er für uns Kinder ein Planschbecken gemauert und verputzt, das ebenfalls mit diesem Wasser gespeist wurde. So konnten wir im Sommer herrlich im Wasser plantschen. Gleich neben dem Planschbecken hatten wir noch eine Schaukel.
Helma, Heinz und ich im Planschbecken
Wenn es uns im Garten zu langweilig wurde, konnten wir auch noch auf die Spielwiese ans Vereinsheim gehen. Dort befanden sich eine Wippe und ein Karussell. Oder wir besuchten unsere Vettern Lothar, Wilfried und Thomas. Mein Onkel Horst und meine Tante Henny hatten ebenfalls einen Schrebergarten in der Kolonie Ronheide, allerdings fast am anderen Ende, und man musste ein gutes Stück laufen.
Jedes Kind hatte ein eigenes kleines Beet. Meine Lieblingsblumen waren Astern, die säte ich mir auch in mein Beet. Zusätzlich wuchsen bei mir natürlich noch meine überalles geliebten Möhren.
v.l.n.r Henny, Heinz und ich
Aber bevor wir nachmittags, am Wochenende oder in den Sommerferien fast täglich die Freuden des Gartens genießen durften, mussten wir zunächst den weiten Fußweg dorthin bewältigen. Wir wohnten in Burtscheid in der Bendstraße und gingen zu Fuß über den Krugenofen, die Eupener Straße und den Ronheider Weg hinauf. Meine Mutter schob in meiner Erinnerung meistens einen Kinderwagen, wir Kinder fuhren oft mit dem Roller, mein großer Bruder später mit dem Fahrrad nebenher. Manchmal gab es auf dem Weg ein Eis beim Italiener Turchetti auf dem Krugenofen, die Kugel zu 10 Pf. Dann fiel uns der Weg deutlich leichter!
Einmal auf dem Nachhauseweg fuhr meine Schwester Helma mit rasantem Tempo auf ihrem Roller den Ronheider Weg hinunter, beim Bremsen rutschten ihr die Räder auf dem Schotter weg und sie fiel hin und hatte das ganze Knie aufgeschürft, und die Wunde war voller kleiner Steinchen. Sie heulte fürchterlich, was ja auch nicht verwunderte. Zu Hause angekommen wollte mein Vater mit ihr zur Feuerwehr, die in der Bendstraße genau gegenüber von unserem Wohnhaus war, um die Wunde reinigen mit Jod versorgen zu lassen. Mein Bruder Heinz hatte seinen Spaß daran ihr dieses Vorhaben ganz schrecklich auszumalen. „Das brennt dann ganz fürchterlich und tut höllisch weh!“ Womit er erreichte, dass meine Schwester noch mehr schrie und weinte und sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte, mit meinem Vater zur Feuerwehr rüber zu gehen. So kommt es, dass sie noch heute eine bleibende Erinnerung an diesen Tag hat – kleine dunkle Einschlüsse unter der Haut auf ihrem Knie.
Gegenüber von unserem Schrebergarten hatten die Brüder Lohmann je einen Garten. In seinem Gartenhaus hatte Herr Lohmann eine Grube in den Boden gegraben, wo er unter einer Klappe stets einen Vorrat an kühlen Getränken lagerte, die er in der Gartenkolonie zum Verkauf anbot. Es war für uns Kinder immer „ein Fest“ wenn mein Vater uns Kindern „Bluna- Limonade“ spendierte, denn Limonade gab es nur selten.
Meine Mutter und Annette
Wenn man auf die Toilette musste, dann musste man die sanitären Anlagen am Vereinsheim aufsuchen, das war immer ein ganzes Stück zu laufen, und manchmal waren sie auch verschlossen, dann stand man dumm da. Mein Vater schaffte Abhilfe. Er baute uns eine eigene „Toilette“. Hinten links ans Gartenhäuschen anstoßend errichtete er einen Schuppen von ca. 1qm Größe. Darin befand sich ein Holzbrett mit einer runden Öffnung und einem Deckel drauf. Darunter stand ein großer alter Einkochkessel. Ein echtes Plumpsklo! Im Sommer roch es manchmal etwas streng und die Fliegen zog es auch an. Besonders „angenehm“ empfand es mein Bruder Heinz, wenn er mit unserem Vater zusammen den Kessel leeren musste. Im Garten wurde ein großes, tiefes Loch gegraben und alles hinein- und wieder zugeschüttet.
An solchen Festtagen kamen auch oft Oma und Opa zu Besuch in unseren Garten, oder auch Onkel Heinz, der ledige Bruder meines Vaters oder unsere Großtante Anna, die Schwester von Oma. Onkel Heinz kam auch sonst schon mal am Wochenende und half meinem Vater bei der Gartenarbeit.
Besuch von Onkel Heinz (Bild li.) und Opa Cornel und Oma Maria (Bild re.)
Im Sommer und Herbst gab es immer viel zu ernten, und das gepflückte Obst und Gemüse musste zu Hause verarbeitet werden. Meine Mutter machte viel ein und die Gläser füllten ihr Regal im Keller. Aber wie schon gesagt, für mich wäre das alles nicht nötig gewesen. Ich freute mich weder über die eingemachten Pflaumen oder Kirschen und schon gar nicht über die Stachelbeeren. Und auch die Bohnen ließ ich links liegen.
Am Ende unseres Gartens, gleich hinter dem Zaun kam der Bahndamm. Oberhalb verliefen die Gleise auf der die schweren Dampfloks Richtung Belgien fuhren. Später fuhren auch TEEs auf dieser Strecke. Hier am Bahndamm, den er durch ein Loch im Zaun erreichte, hatte sich mein Bruder in einem großen Holunderbusch eine Art Baumhaus gebaut. Von hier aus beobachtete er mit Interesse den Schienenverkehr. Was wohl passieren würde, wenn er ein paar Schottersteine auf die Gleise legen würde? Wenn der Zug käme und darüber führe? Er wollte es wissen. Aber er hatte eine tierische Angst davor, dass der Zug vielleicht entgleisen könnte. Trotzdem hat er es gemacht!
Die Eisenbahnstrecke am Ronheider Berg, auch „Ronheider Rampe“ genannt, gehört zu den steilsten Bahnstrecken Deutschlands. Es gab noch keine Oberleitung und so fuhren die Züge mit Dampfloks der Baureihe 01 und 50 vorne und mit kleinen Drückerloks hinten um die Steigung zu bewältigen. Manchmal kam auch der TEE, ein superschneller Luxuszug mit dieselbetriebenem Triebwagen, ähnlich dem jetzigen ICE, den Berg rauf oder runter gefahren.
Die Ronheider Rampe wurde 1843 eröffnet und dient bis in die Gegenwart dem Fernverkehr zwischen Deutschland und Belgien.
Zwischen dem heutigen Aachener Hbf und dem vor dem Portal des anschließenden Buschtunnels gelegenen Bahnhof Ronheide musste die Bahnstrecke aufgrund des Anstiegs zum Aachener Wald über einen Streckenabschnitt von 2.086m als Steilstrecke mit einer Steigung von 26.5% angelegt werden.
Erst 1966 wurde die Steilstrecke auf elektrischen Betrieb umgestellt.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Ronheider_Rampe)
Ja, und dann kam der Tag mit dem Paket! Meine Güte, war das aufregend. Es ereignete sich am Ende der Gartenanlage im Garten bei unseren Vettern. Auch hier endete der Garten am Bahndamm und hier begann der massive Anstieg der „Ronheider Rampe“. Die Züge fuhren ganz, ganz langsam. Die Zug- und die Drückerlok hatten ihre „rechte Mühe“. Und auf einmal fiel ein großes Paket aus dem Güterwaggon und purzelte den Bahndamm hinunter in Richtung Garten. Was war geschehen? Und was sollten wir tun? Onkel Horst und mein Vater beratschlagten sich und entschieden das Paket erst mal sicherzustellen. Und alle Kinder standen ganz nervös und wibbelig drum herum. Der Aufschrift war nicht zu entnehmen, um was für ein Paket es sich handelte. Also wurde es geöffnet. Und es enthielt: Nyltesthemden!!! Jede Menge Herren-Nyltesthemden!!
Die waren damals der „letzte Schrei“, pflegeleicht, knitterfrei und bügelfrei. Allerdings 100% Poly-„irgendwas“, aber darüber machte man sich damals keine großen Gedanken. Und was sollten wir jetzt mit diesen hunderten, weißen, neuen polyamidfaserhaltigen Hemden anfangen? Mein Onkel und mein Vater entschieden, dass es das Beste sei, den Hemdenfund bei der Bahnpolizei zu melden. Und das geschah dann auch und das Paket wurde abgeholt. Ich glaube als Finderlohn erhielt jeder ein oder zwei Nyltest-Hemden.
Hier im Garten auf Ronheide haben wir viele schöne Sommer verbracht, an die ich und auch meine Geschwister Heinz, Helma, Henny, Annette und Hans-Gerd noch gerne zurückdenken.
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Hannelore Follmer im April 2015 über sich:
Ich bin Jahrgang ’57 und ein “echter Öcher met Hazz en Blot”. Meine Heimatstadt ist für mich die “schönste Stadt der Welt”. Ich bin verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder.
Eins meiner Hobbys ist das Öcher Platt. Im Verein Öcher Platt bin ich langjähriges Mitglied.
Liebe Hanne Follmer,
als “Nicht-Aachener können wir uns sehr gut die unterhaltsame Zeit und glückliche Kindheit aufgrund der hervorragenden, anschaulichen, sprachlichen Schilderung und Bebilderung vorstellen. Glückwunsch und Respekt.
Weiter so!
Liebe Frau Follmer, vielen Dank für die hervorragende Schilderung Ihrer Erlebnisse in der Gartenkolonie. Mich erinnert das an meine Jugend (ich bin Jahrgang 1940 und bin Burtscheider), meine Eltern hatten einen Garten in der Kolonie Bodenhof, die ja leider seit Jahrzehnten bebaut ist. Meine Erinnerungen stammen meistens den Jahren 1945 bis 1960. Auch unser Garten hatte ein fest gebautes Haus mit Veranda – leider im Krieg zerstört. Da ich nach dem Studium meine Heimat verlassen musste, beginne ich jetzt meine Erinnerungen zur Aachener Zeit aufzuschreiben und zu erforschen. Es gibt zahlreiche Parallelen zu Ihren Schilderungen leider kann ich keine Zeitzeugen finden, die sich an die Kolonie Bodenhof erinnern. Ich werde weiter suchen. Ihnen nochmals herzlichen Dank und viele Grüße aus Rheinhessen. Helmut M. Krichel