Nicht nur rheinisches Idiom – auch “Öcher”…
…”können sie mir das bitte mal überschneiden”…, bat ich den asiatischen Pizzaverkäufer am Hamburger Hauptbahnhof, wo ich mir kurz vor der Abfahrt nach Aachen noch schnell eine kleine Wegzehrung kaufen wollte.
Als der junge Mann mich etwas verständnislos ansah, fügte ich noch, mit entsprechender Geste hinzu : …“in zwei Hälften bitte“, als habe er mein Anliegen mangels Beherrschung der deutschen Sprache nicht begriffen.
Erst später , als ich im Zug Platz genommen hatte, kam mir zu Bewusstsein, dass nicht der Pizzaverkäufer schlecht Deutsch verstand , sondern es wohl an meiner Aachener Ausdrucksweise lag.
Auf der Heimfahrt gingen mir dann laufend die sprachlichen Floskeln und geliebten Formulierungen eines Aacheners durch den Kopf, so beispielsweise ein ähnlicher Satz wie mit dem „Überschneiden“: „Ich muss hier mal durchwischen“, wenn die Fußbodenpflege gemeint ist.
Was Öcher für korrekte Umgangssprache halten, muss für andere deutschsprachige Menschen oft klingen wie eine Sprache von einem anderen Stern. Der Nachbar von gegen uns über, von dem der Hund am bellen ist….“ Oder, in der kommenden Winterzeit: „Ich hab´ kalt….“ und… „Ich geh´ im Bett“.
Zugegebenermaßen pflegen nicht alle Aachener diese Ausdrucksweisen, aber so ein richtiger Ur-Öcher kann schon einen Nord- oder Süddeutschen in Staunen versetzen.
Kürzlich machte mir der freundliche Anstreicher das Angebot: „…das kann ich Sie etwas beistreichen…“ als er eine kleine Farbausbesserung mit dem Pinsel meinte.
Wer im Alltagsleben etwas genauer hinhört, kann so manches Deutsch mit Knubbeln hören, z. B. letzthin beim Bäcker : „..wenn se keine Puffelen haben, dann nimm ich mich ene Strick.“ Oder eine ältere Frau zur anderen: „..ich muss mal eraus, auch wenn kein Wetter is. Wenn kein Wetter is, dann sind de Kinder verkehrt.“ Oder wenn die Dame des Hauses noch im Bad beschäftigt ist:… „se is sich am fertig machen“… Und beim Mittagessen:…“die saßen bei der Mittag.“ Wenn man in unserer Region geboren ist, dann hat das etwas von Heimat. Wenn ich solche Töne während meiner Auslandtätigkeit vernahm, dann ging mir das Herz auf.
Unvergesslich bleibt mir eine Szene während einer Chinareise, als mir in einem Hotel plötzlich jemand auf die Schulter klopfte mit den Worten: „Ah, aue Öcher, bes´de ooch he ?!“ Der Bekannte aus meiner heimischen Stammkneipe erklärte mir : „Wir sind hier in de´ Nähe mit ´n paar Kollegen Maschinen am Aufstellen…“ In dem Moment war ich im fernen China plötzlich in der Heimat.
Es geht nicht um unser Öcher Platt, das selbstverständlich gepflegt werden soll. Es dreht sich um das Deutsch „mit Knubbeln“ , das sich im Sprachgebrauch und in Redensarten niederschlägt. Davon ist vieles im gesamten Rheinland verbreitet, aber regional gibt es Spezialitäten besonderer Art: …“ich kenn ´mich hier“ , „wir helfen uns untereinander“ , bei der Essenszubereitung: „Ich koch mich was“( eine Aussage mit fast kannibalischem Hintergrund) und „D´r Salat is durchjezogen“oder „…den Teller aufessen“ gehören einfach zu Aachen. Fast täglich hörte ich in meiner Kindheit die Worte meiner Großmutter, wenn mein jüngerer Bruder mal wieder nicht essen wollte: “Du darfst erst vom Tisch aufstehen, wenn der Teller aufjejessen is!“
An so manche Bonmots erinnert man sich immer gern, auch nach Jahren. Als ich mich mal verfahren hatte und ein offensichtlicher Ur-Aachener mir noch den guten Rat gab, nachdem er mir den Weg erklärt hatte:“ Sie müssen nur immer auf den Schildern achten“.
Momentan spielt eine Aachener Kabarettbühne Schwanks aus dem Aachener Leben unter dem schönen Titel: „Womit kommst du mich denn ?“ – Worte mit starker Aachener Aussagekraft.
“Zum Schluss noch eine für Aachen besonders treffende Feststellung , die in die Jahreszeit passt:“Es fängt am Regnen an“ ! Und für die Wintertage: …„ich hab´ de Schuh jefüttert.“
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René H. Bremen, Jahrgang 1942, ist Aachener, Rentner und arbeitet als Maler und Bildhauer. 35 Jahre lang hatte er Friseursalons in Aachen, nachdem er sieben Jahre in diesem Beruf im Ausland verbracht hatte (verschiedene Orte in der Schweiz, London, Paris und Montreal).
Seit dem Tod seiner Frau 2007 bekleidet er verschiedene Ehrenämter, interessiert sich für klassische Musik und Literatur und reist viel. Er ist Gründungsmitglied des Künstlerkollektivs “Atelier-Kunstdialog”, das seit 2006 besteht.
Sabine F.
(Freitag, 31 Januar 2014 21:54)
Mein Lieber, wie kann man denn „Ich muss hier mal durchwischen“ anders ausdrücken? Das ist doch deutsch.
LG Sabine
Hanne Follmer
(Montag, 27 Oktober 2014 16:47)
Und nicht vergessen:
Wenn et kalt wird: “Tu dich wat in d´r Hals” und “tu dich wat in de Vöss”. Und wenn et noch nicht janz e so kalt is, reicht auch ene Mantel “vör d´r Überjang”.
Einfach herrlich, unse Öcher Platt!
Es gibt zweifelsfrei ein gerüttelt Maß an lokalen und regionalen, spezifischen Idiomen, die lexikalisch und semantisch eine Art Urheberschutz beanspruchen dürfen, aber auch eine Erklärung oder Übersetzung verdienen, z. B. “Puffelen/ene Strick”, wo Jürgen Beckers nur Teile davon seinem WDR-Publikum erläutert. Puffelen = Berliner, mir auch bekannt als Pfannkuchen, Kreppel, Poffertjes; aber was ist in Aachen ein Strick?
Ich habe eine geografisch breit orientierte Ahnentafel und finde mich in vermeintlich einzigartigen öcher Wendungen seit meinem mütterlich dominierten Spracherwerb wieder; da muss es in grauer Vorzeit reichlich Interferenzen mit dem westlichen Ruhrgebiet gegeben haben: “kein Wetter”, “Teller aufessen” und andere Wendungen. Bliebe noch die Besonderheit grammatikalischer wie lexikalischer Eigenheiten, die jedem Dialekt innewohnen. Aber selbst hier ist ja dem genauen Betrachter eingängig, dass ein Platt spätestens im Nachbarort bereits anders sein kann (und wird).