Richard, der Obdachlose

Wer liegt denn da im Schaufenster? Tatsächlich, es ist Richard.

Das ist der Mann, der aus seiner Wohnung rausgeflogen ist, weil er die Übersicht nach dem Tode seiner Frau verloren hatte. Der keine Miete mehr zahlte, dem die Wohnung ausgeräumt und sämtliche Möbel vor die Haustür gestellt wurden. Der sein Bett auf dem Bürgersteig wieder aufbaute und zwei Nächte dort verbrachte. Der zusehen musste, als die Männer vom Stadtbetrieb den Bürgersteig räumten. Richard erschien der Müllwagen wie ein riesiger Drache, der das hinter  schmutzigen Vorhängen verborgene Maul aufsperrte und zwei Reihen stählerner Zähne zeigte. Zuerst wurde das Sofa dem Drachen ins Maul geschoben. Langsam schlossen sich die Zahnreihen, es splitterte und krachte, es riss und stöhnte und der Gigant würgte den ersten Teil des Möbelstücks in sich hinein, um sofort den Rachen erneut zu öffnen und weitere Teile zerborsten hinter den Zähnen verschwanden. So wurden Richards Möbel, der Kleiderschrank und der Sessel aus dem Wohnzimmer, der Küchentisch und die Stühle, ein Teil nach dem anderen dem Ungeheuer zum Fraße angeboten und verschwanden in den Eingeweiden des Riesen. Als Letztes wurde der Spiegel aus dem Schlafzimmer auf die Rampe geworfen, zersprang in viele Teile, wurde zwischen den Zähnen knirschend zerknackt  und war verschwunden. Es war der Spiegel gewesen, vor dem seine Frau saß, bevor sie in die Stadt ging um sich fein zu machen.

Richard sah hilflos zu und weinte und konnte nicht verstehen, was ihm angetan wurde. Der Müllwagen verschwand und Richard schleppte sein Bett zum Katschhof, um dort gegen die Behördenwillkür zu protestieren.

Das ist schon wenigstens zehn Jahre vorbei, Richard hat sich mit seiner Situation abgefunden und benötigt täglich alkoholische Tröstungen, wozu er sich das Geld erbettelt.

Da liegt dieser Mann auf der warmen Fensterbank des Lebensmittelladens am Markt und schläft seinen ersten Rausch aus. Seine Nase ist etwas bunter geworden, seine Kleidung sauber und die Schuhe geputzt. Er schnarcht leise und sieht zufrieden aus.

Der Schlaf wird als etwas Heiliges geachtet. Keiner der Kunden regt sich auf, eine Frau nickt lächelnd in seine Richtung, ein Mann geht grinsend zum Ausgang, niemand protestiert.

Richard schläft.

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