Skurrile Momente
…im Alltag eines Aachener Bankmitarbeiters
Manche Ereignisse oder Geschehnisse prägen sich dauerhaft auf unsere Hirnfestplatte ein. Entweder sind es Geschichten zum Schmunzeln oder Dinge, die man lieber längst vergessen hätte.
Auf meiner Festplatte stolpere ich immer wieder auf folgende Abspeicherungen:
Zu Zeiten als Mitarbeiter in einer Zweigstelle eines Aachener Kreditinstitutes wurde bereits Wochen vorher, für Mittwoch, der 23. Januar 1985, der Spendentag „Ein Tag für Afrika“ geplant. An diesem Tag wurde in ganz Westdeutschland zur Linderung der Hungersnot in Afrika, Geld gesammelt. Natürlich machte der Zweigstellenleiter der Filiale in der ich arbeitete sich auch Gedanken, wie man auf die Hungersnot in Afrika aufmerksam machen könnte und was die Geldbörsen seiner Kunden am schnellsten öffnen würde. Tagelang brütete er nach einer Lösung und nach einer Idee. Nach dem Besuch einer Kundin, die einen afrikanischen Jungen adoptiert hatte, glaubte er der Lösung ganz nah zu sein. Ohne seine Idee mit uns zu besprechen oder abzustimmen, rief er die Kundin an und bestellte sie und ihren damals 5-jährigen Adoptivsohn zu sich in sein Büro. Die beiden erschienen pünktlich, doch nach nur kurzer Gesprächsdauer wurde es laut im Besprechungszimmer. Nach weiteren turbulenten Minuten verließ die Kundin, mit ihrem Sohn an der Hand, ganz aufgeregt und schimpfend die Zweigstelle. Der Kopf meines Vorgesetzten war feuerrot, schien auf das doppelte angewachsen zu sein und wurde offensichtlich von Fieber geplagt. Erst jetzt wusste mein Chef in welches Fettnäpfchen er getreten war. Was er nicht wusste war, wie er da wieder raus kam. Doch der Reihe nach, was war geschehen? Der Unglückliche hatte der Kundin, mit Blick auf den „Ein Tag für Afrika“, ernsthaft folgenden Vorschlag gemacht: Ihr Adoptivsohn sollte sich, nur mit dem Notdürftigsten bekleidet und bettelnd auf einer Decke sitzend, vor die Zweigstelle plazieren und so auf das Elend in Afrika aufmerksam machen und auf diese Art Geld für Afrika sammeln. Man stelle sich das einmal vor, im Winter bei Minustemperaturen solch ein Gedankengriff ins Klo. Das große Gewitter von oben ließ nicht lange auf sich warten. Schon wenige Stunden später saß der Unglückliche schwitzend vor seinem Vorgesetzten und konnte sich zu Recht so manches anhören. Es wurden dabei gleich mehrere übergroße Dosen Druck aufgemacht. Dabei sollen auch so Sätze wie, „Am liebsten würde ich Sie schwarz anmalen und selber auf die Decke vor Ihre Zweigstelle setzen“, gefallen sein. Das bei der Aktion „Ein Tag für Afrika“ dennoch 100 Millionen DM in Deutschland gesammelt worden sind hatte nichts mit meinen Chef zu tun, der wahrscheinlich heute noch die schwarze Farbe aus seinem Gewissen wischen möchte und ebenfalls einen dementsprechenden Eintrag in seiner Gehirnfestplatte speichert.
Vom gleichen Unglücksraben erzählt die folgende Geschichte. Anfang der Achtziger Jahre warb mein Arbeitgeber massiv in der lokalen Presse mit dem Goldankauf. Dies hatte zur Folge, dass unsere Kunden zu Hause intensiv nach Goldketten, Ringen, Armbändern und zahlreichen anderen Dingen aus Gold suchten, die zu Geld gemacht werden könnten. So verwundert es nicht, dass es Zeiten gab, als man am Bankschalter dachte man sei auf einem türkischen Basar. Die Kunden boten alles an was auch nur annähernd aussah wie Gold. Goldfarbene Blechbecher und Bestecksortimente, Gold glänzender Modeschmuck und Uniformknöpfe, ja sogar Zahngold wurde zum Kauf angeboten. Folgende Geschichte hätte sich auch an unserem Bankschalter abspielen können: Ein Mann erkundigt sich nach dem Ankaufspreis von Zahngold und erhält die Auskunft, man müsse erst das Zahngold prüfen und wiegen. Der Mann erwiderte daraufhin, das geht nicht, die Oma lebt noch. Doch zurück zum Bankschalter. Neben den ganzen Schätzen und Kostbarkeiten, die uns von den Kunden angeboten wurden tat sich eine ältere Kundin besonders hervor. Sie schien zu Hause ein großes Goldlager zu haben. Anders konnten wir es uns nicht erklären woher die ganzen Goldsachen kamen die sie uns regelmäßig zum Ankauf anbot. Die Kundin war sehr auf den Zweigstellenleiter fixiert und wartete in der Zweigstelle oft lange bis dieser Zeit für sie hatte. Sie wollte nur von ihm bedient werden. So auch an einem Freitagmittag. Da entblätterte sie aus einem roten Samttuch eine Eiergroße Goldkugel, die mit farbigen Smaragden versehen war. In ihren beiden Händen das Samttuch mit der wertvollen Goldkugel haltend als seien es die Kronjuwelen von England, hielt sie den glänzenden Schatz unter die Nase meines Chefs. Anfassen durfte er das Objekt der Begierde nicht, nur staunend ansehen. So etwas Schönes hatte er noch nie gesehen. Da dies das offensichtlich bisher Wertvollste war, was ihm zum Ankauf angeboten wurde, sah er sich nicht in der Lage hier einen Ankaufspreis zu benennen. Da mussten Fachleute ran und die saßen in der Hauptstelle. Also musste der unvermeidliche Schatz in die Hauptstelle. Zunächst bestellte mein Chef dort einen Werttransporter, doch alle Wagen waren bereits unterwegs. Da die Mittagspause anstand, beschloss er bei seiner Fahrt in die Kantine der Zentrale den Schatz dort selber in der Abteilung Goldhandel abzugeben. Die Kundin ermahnte ihn mit ihrer Goldkugel vorsichtig umzugehen und wünschte ihm viel Glück beim Werttransport. So machte sich ein etwas nervöser Zweigstellenleiter auf zur Hauptstelle. Seinen Wagen parkte er im gegenüber der Bank liegenden Parkhaus. So musste er nur noch die Straße zur Bank überqueren. So weit der Plan, die Realität sah anders aus. Vor lauter Aufregung übersah er beim Überqueren der Straße ein Auto, das plötzlich aus dem Autoschalter fuhr. Und so kam was kommen musste, Mein Chef lief in das langsam anfahrende Auto, stürzte dabei auf den Bürgersteig und ließ seine Tasche samt Schatz fallen Diese wurde dann von einem Vorderreifen des Autos überrollt. Bei diesem Zusammenstoß wurde er nicht verletzt, auch das Auto bekam keine Beschädigung ab. Doch der Schreck muss groß gewesen sein für das Unfallopfer, denn am Steuer des Fahrzeuges saß zu allem Überfluss auch noch der oberste Bankboss. Als dieser aus seinem blauen Mercedes ausstieg und sich nach dem Befinden seines Angestellten erkundigte, hatte dieser nur die Goldkugel im Kopf. Schnell öffnete er seine Tasche und nahm das Samttuch heraus um den Inhalt seinem Chef zu zeigen. Mit den Worten „Herr Direktor, ich habe einen Schatz in meiner Tasche“, hielt er ihm das Samttuch unter die Nase und öffnete langsam das Samttuch. Der Direktor blickte auf den Inhalt des Tuches und erwiderte: „Was für einen Schatz, das soll ein Schatz sein, ich sehe nur Plastikteile.“ Mein Chef blickte auf das Tuch und erblickte die zertrümmerte Kugel. Der Autoreifen hatte beim Überfahren alles zermahlen und zerquetscht. Die angeblichen bunten Smaragde entpuppten sich als billige Glassteine. Für meinen Chef brach eine Welt zusammen. Der Direktor fuhr von dannen und ließ einen enttäuschten, wütenden und unter Schock stehenden Angestellten zurück. Unentdeckt würde das Ganze nicht bleiben, denn am Fenster der Kantine im 2. Stock hatten sich genügend Leute versammelt, die diese Geschichte wie ein Lauffeuer in der ganzen Bank verbreiten würden. Der ganze Hohn und Spott ließ auch nicht lange auf sich warten. Noch am gleichen Nachmittag riefen Bankkollegen bei uns in der Zweigstelle an, um meinen Chef z. B. nach den Ankaufspreisen für außergewöhnlich wertvollen Inka-Goldschmuck zu fragen. Doch das Schlimmste hatte mein Chef noch vor sich. Er musste seiner Kundin erklären warum nichts aus dem Ankauf der Goldkugel würde und vor alles Dingen, was aus ihrem „Goldschatz“ geworden ist. Nach dem unangenehmen Gespräch hatte der Zweigstellenleiter seine Sympathie bei der Kundin eingebüßt und die Kundin hatte ab sofort in unserer Zweigstelle bei ihren Bankgeschäften keine langen Wartezeiten mehr. Von diesem Tag an hat uns diese Kundin auch keine Goldwaren mehr angeboten und mein Chef hatte sich angewöhnt bei anstehenden Goldankäufen, das Wort „Gold“ nicht mehr gegenüber dem Kunden zu benutzen. Erinnert wurde ich an diese wahre Begebenheit durch die zur Zeit im Fernsehen präsente „Geld für Gold“ Werbung. Ob es den beteiligten Personen auch so ergangen ist?
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Uwe Reuters wurde 1960 in Aachen geboren. Nach einer Banklehre arbeitete er in seiner Freizeit als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Musikmagazinen und war in den 80ern und 90ern als Manager für verschiedene lokale und nationale Bands tätig. 1995 moderierte er für kurze Zeit die Musiksendung „Danger Zone“ bei Radio Euro. 1996 erschien sein erstes Buch „Easy Livin’” über die Band Uriah Heep, bis 2007 veröffentlichte er neun weitere Jahresbücher über Uriah Heep. Unter der Adresse futterfuerdieaachenerohren.blogspot.com schreibt er zahlreiche Berichte über die Aachener Schallplattengeschäfte von den 60er Jahren bis heute.
Seit 1996 führt Uwe Reuters in Burtscheid eine Anlage- und Vermögensberatungsfirma.