Wie kam der Kaiser zum Kaiserplatz?
„Entschuldigen Sie, sind Sie aus Aachen? Wissen Sie, wer da oben auf dem Pferd sitzt?“ Diese Frage stellte ich fünfzehn Personen, die uns am Kaiserplatz über den Weg liefen.
Das ist natürlich keine repräsentative Umfrage, aber das Ergebnis ist trotzdem interessant, erschütternd interessant! Drei Personen sagten spontan: “Kaiser Karl“, zwei sagten: „keine Ahnung“, und der Rest sagte: „Kaiser Wilhelm“.
Wie war ich auf die Idee mit der Umfrage gekommen? Schon öfters hatte ich festgestellt, selbst im Gespräch mit eingeborenen Aachenern, dass der Kaiser, der dem Kaiserplatz seinen Namen gibt, den Aachenern ziemlich schnuppe ist. Und als ich mit Freunden, die vor mehr als dreißig Jahren aus Aachen weggezogen waren, durch die Stadt gehe, sind beide beim Anblick des Reiterstandbilds überzeugt: „Das ist doch der olle Kaiser Wilhelm“.
Wir gehen etwas näher an den monumentalen Sockel heran und müssen den Kopf in den Nacken legen, um den hoch zu Ross Sitzenden betrachten zu können. Ob er auf einen derart hohen Sockel gestellt wurde, damit die Kinder nicht auf dem Rücken des edlen Pferdes herum turnen können? In einsamer Höhe trotz der Kaiser Wind und Wetter. Nur die Tauben leisten ihm Gesellschaft. Ist er deshalb nahezu unbekannt, weil er so hoch oben thront? Wir lesen die Inschrift: „Friedrich III. Deutscher Kaiser, König von Preußen, 7. März – 15. Juni 1888. Meine Begleiter haben schnell ausgerechnet:
„Er war nur 99 Tage Kaiser. Trotzdem hat die Stadt Aachen ihm ein Denkmal errichtet. Warum, um alles in der Welt?“
„Die Frage ist berechtigt“, antworte ich. „Ich muss etwas ausholen, um sie zu beantworten.
Dieser Friedrich III. war bereits 57 Jahre alt, als er endlich Kaiser wurde, denn sein Vater ist sehr alt geworden. Der neue Kaiser war zu diesem Zeitpunkt bereits schwer krank. Kehlkopfkrebs. Er starb, wie hier zu lesen ist, nach nur 99 Tagen seiner Regierungszeit. Er wird deshalb auch oft der 99-Tage-Kaiser genannt.
„Aber warum ist denn ausgerechnet dieser Kaiser hier verewigt?”, wollen meine Besucher wissen. „Seit seiner Geburt, bis zum Jahre 1871, als sein Vater als Wilhelm I. im Spiegelsaal zu Versailles zum deutschen Kaiser proklamiert worden war, war Friedrich „nur“ Kronprinz von Preußen. Als solcher hatte er so gut wie keine Machtbefugnisse, sondern mehr Repräsentationsaufgaben und reiste viel.
Und am 25. Januar 1858 machte er auf seiner Rückreise von London nach Potsdam mit seiner frisch vermählten Gattin Victoria, der Tochter der englischen Königin, einen Zwischenstopp in Aachen.
„Und dafür haben ihm die Aachener ein Denkmal gesetzt?“ werde ich ungläubig gefragt? „Nun, er kam nicht mit leeren Händen. Er überreichte eine Spende von 5000 Talern, die der Grundstock für die spätere Hochschulgründung war.“
„Aha, dafür, dass er 5000 Taler locker gemacht hat, wurde er in Bronze gegossen?“ spottet einer meiner Begleiter. „Nein, nicht nur wegen der Geldspende wurde er in Aachen verehrt. Sein Vater, der König von Preußen – er war zu diesem Zeitpunkt noch nicht Kaiser – wollte die Rechte, ein Polytechnikum zu gründen, nach Köln vergeben. Die Aachener nutzten den Besuch des königlichen Gastes, um ihn um Vermittlung bei seinem Vater zu bitten.
Es gelang ihm, seinen Vater umzustimmen. So wurde nach langem Tauziehen endlich Aachen als Standort ausgewählt. Im Mai 1865 fand im Beisein des Königs und des Kronprinzen die Grundsteinlegung statt. Und 1870 war der Hauptbau bereits fertig gestellt. Das Ereignis wurde überschwänglich gefeiert, denn eine Hochschule macht eine Stadt zu einem besonderen Anziehungspunkt.
„Jetzt verstehen wir die Geschichte“, sind sich meine Besucher einig. „Und als I H R Kaiser nach nur 99 Tagen gestorben war, fanden die Aachener Ratsherren, dass sie es dem Verstorbenen schuldig waren, ihn besonders zu ehren“. „So ist es. Aber das Denkmal wurde erst im Jahre 1911 aufgestellt. Sein Sohn, Wilhelm II. kam am 18. Oktober 1911 nach Aachen, um es einzuweihen.“
„Warum hat es so lange gedauert?“ „Das werden wohl Geldprobleme gewesen sein, und endlose Debatten im Rat zwischen Befürwortern und Gegnern. Und dann musste ein Künstler gefunden werden, der in der Lage war, die Pläne zu verwirklichen. Die Aachener vergaben den Auftrag schließlich an den Kölner Künstler Hugo Lederer.“
Wir schauen zu dem Reiter hoch. Es scheint, als nickte er uns freundlich zu. „In diesem Zusammenhang ist es interessant“, füge ich noch hinzu, „dass Aachen die einzige Stadt in Deutschland ist, die ein Standbild von Friedrich III. hat. Nirgendwo sonst ist er so verehrt worden wie in Aachen. Und das mit Recht, denn ohne die Hochschule hätte Aachen sich nicht so positiv entwickeln können.“
„Friedrich III. war ein sehr liberaler Mann. Vielleicht hätte es nie einen ersten Weltkrieg gegeben, wenn er nicht so früh gestorben wäre.“ „Ja, bestätige ich. Besonders tragisch ist es, dass vielleicht seine Krankheit nicht zum frühen Tod geführt hätte, wenn sich seine zwei Leibärzte über die Therapie nicht so uneinig gewesen wären.“
„Wieso?“ „Wie ich eben schon erwähnte, war Friedrich III. der Schwiegersohn der englischen Königin Victoria. Sie schickte, als sie von der Krankheit erfuhr, einen englischen Spezialisten. Sein Behandlungsplan wurde vom Berliner Leibarzt nicht anerkannt. Während die beiden Ärzte über die richtige Therapie stritten, verstarb ihr kaiserlicher Patient.“
„Das ist wirklich ein Drama. Friedrich III. als Opfer menschlicher Eitelkeiten.“ „Ja, eine Ironie des Schicksals. Oder soll es Zufall genannt werden?
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Inge Gerdom, geb. Schieren, Jahrgang 1940, wohnt in Aachen-Brand seit 1973. Studium an der PH Aachen und an der Fernuniversität Hagen, Sonderschullehrerin bis 2005, zwei Söhne (1964 und 1966), zwei Enkel, eine Enkelin.
Seit der Pensionierung:
Aquarell- und Acrylmalerei, von 2000 bis 2013 acht Ausstellungen
Seit 1997 bei „Senioren schreiben für die AN“
Seit 2008 Autorin und Mitglied der Redaktion in SENIO
Seit 1997 ehrenamtlich tätig in der Bücherei des Marienhospitals
Seit 2012 ehrenamtlich tätig bei der AWO Brand (Kurs Gehirnjogging)
2 Kinderbücher (Geschichten vom Leuchtturmwärter Hein) herausgegeben, die in Zusammenarbeit mit den Enkeln Paul und Moritz entstanden sind (erschienen im Kirsch-Verlag 2012 und 2013)