Beobachtung im Bus

Als ich am Bushof in die Linie 33 einsteige, finde ich noch einen Sitzplatz gegenüber einem älteren Paar. Ich beobachte sie unbemerkt.

Er trägt einen grauen Anzug mit passender Krawatte, die Bügelfalte seiner Hose messerscharf, die Schuhe auf Hochglanz poliert. Die wenigen schneeweißen Haaren strategisch gekämmt. Er ist bestimmt schon seit zehn, fünfzehn Jahre in Rente nach einem langen arbeitsamen Leben in einer angesehenen Position. Jetzt hat er verschiedene ehrenamtliche Tätigkeiten, standesgemäß, versteht sich.

Ihre Haare, sorgfältig modelliert, haben einen sanft braunen Ton, nicht zu jugendlich. Der Friseur hat da ganze Arbeit geleistet. Er begrüßt sie schon lange mit Namen, kennt ihre Wünsche. Sie trägt ein schwarzes Kleid mit dezenten Streifen und umklammert eine Tragetasche mit der Aufschrift eines der besseren Modegeschäfte. Auch sie ist im Rentenalter nicht untätig, sie führt am Dienstagnachmittag einen Salon. Ob gut oder mager besucht hängt von der Sichtweise ab.

Aber warum fahren die eigentlich mit dem Bus? Ist er etwa den Führerschein los geworden? Vielleicht damals nach dem Neujahrsempfang, da waren die Promille wieder zu hoch, aber nur ganz knapp. Sie ist noch immer ein wenig verbittert darüber. Da hätte die Polizei doch eigentlich Verständnis zeigen müssen. Man kann den Oberbürgermeister doch nicht um ein Glas Wasser bitten bei so einer Gelegenheit?

Er sitzt links, schaut nach links. Sie sitzt rechts, schaut nach rechts. In ihrem langen Zusammensein ist schon alles gesagt, was zu sagen ist. Gedacht, was zu denken ist. Die goldene Hochzeit, vor ein paar Jahren, war gewiss ein großer Erfolg. Alles was Rang und Namen hat, war eingeladen. Die höfliche Absagen kamen zum Glück schriftlich, so dass man die bis heute noch stolz vorzeigen kann.

Viktoriaallee. Sie macht sich auf, auszusteigen. „Das passt“, denke ich, „eine Gegend mit schönen großen Häusern.“ Der Bus hält. Er steht auf, tut einen Schritt zurück um ihr den Vortritt zu lassen. „Siehst du“, denke ich, „ein höfliches Benehmen, es passt alles wunderbar zusammen.“

„Danke schön“, sagt sie und steigt aus. „Bitte schön“, sagt er und setzt sich wieder hin. Es ist kein Paar, mein goldenes Ehepaar.


 

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