Das Bankgeheimnis oder die Leiden des Bankers

Anfang der Achtziger Jahre war ich, nach meiner Banklehre, bei einer Aachener Bank als sog. „Springer“ tätig. An einem Freitag, es war ein heißer Sommertag, wurde ich in der Zweigstelle an der Trierer Straße bei dem netten Zweigstellenleiter Herrn Pohlen als Schalterkraft eingesetzt. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, die Zweigstelle und so mancher Kunde waren mir von vorherigen Einsätzen bekannt. Doch trotzdem passierte mir etwas, worüber ich heute noch schmunzeln muss.

Kurz vor der Mittagspause erschien in der Zweigstelle ein junge Frau. Sie war mit einem leichten Sommerkleidchen bekleidet, hatte lange Beine, trug ihr langes blondes Haar offen und hatte offensichtlich in verführerischen Parfum gebadet, das jeden Mann in den Wahnsinn trieb. Der Flirtgott meinte es gut mit mir, denn ich durfte die mir bis dahin unbekannte Schönheit bedienen. Mit lieblicher Stimme verriet mir der Engel, dass Sie demnächst den Führerschein machen wollte und Sie deswegen zur Ansparung ein Sparkonto eröffnen wolle. Nichts leichter als das, dachte ich mir. Schließlich war das eine der angenehmeren Arbeiten an der Kundenfront. Zusammen mit der Kundin nahm ich in der Beratungsecke Platz und ließ mir zur Eröffnung des Sparkontos den Personalausweis aushändigen. Aha, die Schönheit hieß Rita, wohnte in der Trierer Straße, war genau mein Jahrgang und offenbar noch ledig. Natürlich führte ich mit ihr ein lockeres Gespräch über Gott und die Welt, über Ihren Führerschein, was sie sich für ein Auto kaufen wolle und was sie denn so am bevorstehenden Wochenende vor habe. Ich schwebte im Siebten Himmel. Während sich am Schalter lange Schlangen bildeten und mich die neidischen Blicke meiner Kollegen um Hilfe baten, lachten wir beide und die Kontoeröffnung geriet schnell zu Nebensache.

Mitten im Höhepunkt unseres Gespräches bekam ich meinen ersten Dämpfer. Mein Gegenüber erklärte mir, dass Ihr Freund von dem neuen Sparkonto und ihrer Absicht den Führerschein erwerben zu wollen auf keinen Fall etwas wissen dürfte, sie wolle ihn damit überraschen. Damit hatte sie mich erstmal überrascht und holte mich direkt von Wolke Sieben zurück hinter meine Schreibmaschine in die Beratungsecke. Noch etwas benommen erklärte ich ihr, dass niemand etwas über ihr Sparkonto erfahren würde, schließlich gibt es ja da noch das Bankgeheimnis.

So weit so gut, dachte ich und brachte die Kontoeröffnung relativ nüchtern zu Ende. Rita tätigte die erste Bareinzahlung auf ihr neues Sparbuch, warf mir noch einen betörenden Blick zu, verließ die Zweigstelle und ich blickte ihr so lange nach, wie es möglich war. Bei der Überprüfung der Kontoeröffnungsunterlagen stellte mein Vorgesetzter Herr Pohlen fest, dass ich vergessen hatte, alle Formulare von der Kundin unterschreiben zu lassen. Da Rita in unmittelbarer Nähe zur Bank wohnte, war klar wo ich die bevorstehenden Mittagspause verbringen würde.

Nach ein paar Minuten stand ich vor dem Wohnhaus und suchte auf der Klingelanlage ihr Namenschild. Das fand ich schnell und genau so schnell noch einen zweiten Namen, offensichtlich den ihres Freundes. Nichts Böses ahnend schellte ich und spurtete voller Vorfreude auf ein schnelles Wiedersehen die Treppen zum vierten Stock rauf. Oben vor der Haustüre angekommen merkte ich schnell, dass ich meine Kondition völlig überschätzt hatte und atem- und sprachlos vor meinem Gegenüber stand.

Doch es war nicht die liebliche Rita die mir die Türe öffnete sondern ein Kerl, der mich sehr unfreundlich nach dem Grund meines Besuches fragte. Ich beantwortete zunächst nicht seine Frage sondern verlangte Frau Rita zu sprechen. Die sei nicht da und um was es denn ginge? Wie ein Magnet zog mich der Unbekannte in die Wohnung bis ins Wohnzimmer. Wieder mit voller Luft versorgt, konnte ich die ersten Gedanken in meinem Kopf entstehen lassen. Und die waren: „Bankgeheimnis! Mein Freund darf von diesem Sparkonto nichts erfahren! Bankgeheimnis!“

Doch der Kerl ließ einfach nicht locker: “Wo ich denn die Rita kennengelernt hätte? Ob ich auch einer vom Swingerclub sei?“

Diese Fragen machten ihn für mich noch unsympathischer. Dann wollte er wissen warum ich mich so fein gemacht hätte? Wieso schick, schließlich trug ich mit Anzug und Krawatte meine Arbeitskluft? Um nur irgend etwas zu sagen und überhaupt eine seiner Fragen zu beantworten kamen aus meinem Mund folgende Worte:

„Das kann ich nur mit Rita besprechen, es handelt sich hier um ein Geheimnis.“ Erst als die Worte bei meinem Gegenüber in den Gehörgängen angekommen waren, wurde mir bewusst was ich da gesagt hatte. Ein Geheimnis, was für eine Halbwahrheit. Und das war genau das was der Kerl nicht hören wollte: „Was, ein Geheimnis, was für ein Geheimnis? Geht Rita fremd, sind Sie ihr neuer Freund?“ Der Kerl trieb mich immer tiefer ins Verderben. Wie komme ich bloß aus dieser Nummer wieder raus? Je öfter ich das Wort „Geheimnis“ aussprach, desto wilder und ungehaltener wurde er. Da half auch mein:„Nein es ist nicht so ein Geheimnis. Es ist nicht das, was sie vermuten. Aber ich darf da nur mit Rita drüber sprechen.“

Dabei schwitzte ich immer mehr, mein Kopf war naß und feuerrot und ich merkte förmlich wie mir das Wasser den Rücken runter in mein teureres Schuhwerk lief. Der Kerl deutete mein Verhalten und meinen Zustand richtig: „Der hat was zu verbergen, den quetsche ich jetzt aus wie eine Zitrone. Schon in wenigen Minuten wird er mir genau erzählen was ich wissen will.“ Sekunden kamen mir wie Minuten vor und die Mittagspause war noch so lang. Dann blickte der Kerl auf einmal auf die Unterlagen die ich in der Hand hielt und die ich schon völlig vergessen hatte. Beim Betrachten sagte er: „Sie kommen von der Bank? Warum haben sie mir das nicht direkt gesagt? Geht es etwa um das neue Sparkonto?“

Nach diesen Fragen bewegte sich mein Blutdruck langsam zurück in normale Bahnen. Nachdem das Geheimnis nun kein Geheimnis mehr war, kam Rita nach Hause und wunderte sich über meinen Besuch. Nach kurzen Erklärungen war alles schnell aufgeklärt, die fehlende Unterschrift geleistet und ich zog voller Glück, noch mal größerem Ärger entkommen zu sein, Rita´s Wohnungstüre hinter mir ins Schloss und betrat einige Minuten vor der Öffnungszeit wieder die Bankzweigstelle, wo das Drama seinen Anfang fand.

Diese Geschichte musste ich natürlich sofort loswerden. Zunächst schlug mir Mitgefühl von meinen Kollegen entgegen. Zum Ende meiner Geschichte änderte sich das in lautes Gelächter.

Einige Jahre später habe ich Rita wiedergesehen. Sie war alleine in einem Auto unterwegs und stand neben mir an einer Roten Ampel. Sie hatte mich nicht wahrgenommen, ich hatte sie aber sofort erkannt. Sie sah immer noch toll aus. Da schoss es mir durch den Kopf: Bankgeheimnis hin oder her, wer weiss ob das Geheimnis, daß Rita ihren Führerschein machen wollte, nicht doch ein Geheimnis zwischen mir und ihr geblieben ist? Vielleicht hatte sie nur die Sache mit dem neuen Sparbuch ihrem Freund erzählt und das mit dem Führerschein nur mir anvertraut.


 

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