Der Ausverkauf des Abendlandes an der Pontstraße

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Da sitzen sie, zwei ältere Herren in ihrer Schatzkammer, umzingelt von dem, was einst Wände und Schränke des gebildeten Bürgertums zierte. Es riecht nach altem Staub, vergilbtem Papier, nach Leim, Holz und Farbe. Man muss sich einen Pfad suchen, wenn man zu den Herren will. Sie sind fröhlicher Stimmung, doch das kann auch Galgenhumor sein. Beide wissen, dass ihre Zeit vorbei ist, die Epoche, in der man sich mit solchen Schätzen umgab, als man Bücher mit schweinsledernen Einbänden aufblätterte, als dunkle schwere Möbel vom bürgerlichen Stolz kündeten und dunkle Bilder zwischen den Bücherregalen hingen. Bald wird man solche geheimnisvollen Magazine, wo irgendein bärbeißiger Kauz zwischen seinem Sammelsurium der abendländischen Bildung thront, nur noch in alten Filmen sehen können.

Die Herren heißen Peter Stressig und Kurt Malangré, und wir sprechen von dem malerischen kleinen Plätzchen, wo die Neupforte in die Pontstraße mündet. Einen Steinwurf von hier begann früher, Zufall oder nicht, der Hoddelebaach, wo Aachens Ooetrüüscher än Hoddelekriemer in ähnlichen Höhlen walteten. Die Herren kommen ins Schwärmen, wenn sie von den warmen Tagen erzählen, an denen gegenüber der Kastanienbaum blüht und sie mit einem guten Glas an ihrem legendären wackligen „Outdoor“-Tischchen sitzen. Dann lassen sie tout Aix-la-Chapelle an sich vorbei flanieren, nicht anders als früher bei der Dorflinde.

Gegründet wurde dieses Panoptikum des Bildungsbürgertums im Februar 77, im selben Monat wie das Cafe Kittel gegenüber, wo sie sich immer den Nachschub für ihr Tischchen holen. Ja, und jetzt ist Schluss. Stressig führt seinen Laden seit 36 Jahren. 73 ist er inzwischen, gerade war er wieder mal sechs Wochen im Krankenhaus. Sowas wie Rente gibt es für ihn nicht, weil er immer selbstständig war, die Lebensversicherung ging auch schon drauf. Er hätte auch noch weitergemacht, denn „in unserem Gewerbe geht man nicht in Pension; Angestellte gibt es auch nicht, die Leute wollen alles von mir selbst.“ Aber die Miete ist einfach nicht mehr zu stemmen.

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Früher liefen die Geschäfte besser, das Sortiment reichte von gotischen Handschriften über Grafiken alter Meister bis zur klassischen Moderne. Der Schwerpunkt lag auf Städteansichten, speziell Aquensien. Ein Drittel des Umsatzes wurde mit Museen gemacht, aber die kaufen nicht mehr, und gute Stücke haben es hier schwer. Oft genug hat Stressig erlebt, dass Sachen, die er günstig abgeben musste, später zum zigfachen Preis in London angeboten wurden. Von ihm wollen die Leute am liebsten Expertisen, sein fundiertes Wissen ist gefragt. „Aber sie wollen mir nicht mal zehn Euro für eine Schätzung geben.“ Aachen-Lütticher Barock interessiert keinen mehr, und ein von Brandis ist dem modernen Käufer zu dunkel. Hell muss die Wohnung sein, mit Ikea-Einheitsstil und Postern. Das Fazit klingt bitter: „Es ist eine Zeit der Wegwerfkultur, beständige Sachen sind nicht mehr gefragt.“

Und da kommt der Briefträger, auch so eine Institution im Viertel: „Da ist er ja endlich wieder, der Herr Stressig, wir waren in ständiger Aufregung. Soll ich einen Witz erzählen?“ Nein, heute nicht, aber alle loben den Zusammenhalt und wie groß die Bereitschaft war zu helfen. Malangré hat sogar den Kittel-Kaffe in einer Thermoskanne ins Krankenhaus gebracht, und überhaupt: „Wir sind richtig schön befreundet“. Zwar sind sie politisch wie Don Camillo und Peppone, „aber wir treffen uns immer in der Mitte“, sagt Malangré, und ansonsten sind sie sich in allem einig. Der ehemalige Oberbürgermeister ist sich auch nicht zu schade, stundenlang im Geschäft zu stehen und die Kunden zu bedienen, um seinem Freund zu helfen. Stressig lobt: „Als ich im Krankenhaus war, hat er meine teuerste Plastik verkauft!“

Und so ging wieder ein Stück Kultur dahin, denn eine Institution wie Peter Stressig und sein Raritätenkabinett wird es nicht mehr geben, das Wissen wird verschwinden oder in die virtuelle Welt verlagert. Ende April 2013 ist Schluss, und bis dahin gibt es noch das, was man hier mal ganz buchstäblich als den Ausverkauf des Abendlandes erleben kann.

Fotos: Heinrich Schauerte


 

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