Der Club Mercator und weitere Amüsements
Bei mir dauerte es bis Mitte der Achtziger Jahre, dass ich das erste Mal den Club besuchen durfte. Möglich gemacht hatte dies ein Bankkollege von mir, der, auf welchem Weg auch immer, in den Besitz eines Offizierausweises gekommen war und nun berechtigt war mit bis zu zwei Gästen im noblen Mercator Club zu speisen. Mein aus Belgien stammender Arbeitskollege, nennen wir ihn Dieter, der nach seinen privaten Vorlieben eigentlich nur Rittmeister der Reserve seiner königlich belgischen Majestät hätte sein können, war ein absoluter Genussmensch. Ständig befeuerte er seine Pfeife mit genügend Tabak und qualmte so ohne Ende vor sich hin. Gut, lange und gemütlich zu Essen gehörte ebenfalls zu seinen Lieblingstätigkeiten. Da hatten wir also allerhand Gemeinsamkeiten, die wir in der Mittagspause ausleben konnten.
Meistens meldete uns Dieter für Freitag im Club Mercator zum Essen an, indem er telefonisch unter Nennung eines Geheimen Codes einen Tisch reservierte. Da wir dort in unserem feinen Bankzwirn erschienen, fielen wir im Club unter den anwesenden Lametta-, Anzug- und Uniformträgern nicht weiter auf. Unsere Mittagspause dehnten wir auf Rat von Dieter eigenmächtig auf zwei Stunden aus. So starteten wir an einem Freitag gegen 12.30 Uhr meine erste Gourmereise nach Burtscheid. Am Mercator Club angekommen, riet mir mein Kollege vorerst nicht zu sprechen und ihn die Anmelde- und Begrüßungsprozedur auf französisch machen zu lassen.
Schnell hatte ich verstanden, dass meine Muttersprache im Mercator Club nicht hilfreich war. Nichts leichter als das, also diente mein Mund in den nächsten beiden Stunden hauptsächlich der Nahrungsaufnahme. Der Empfangschef in tadelloser Uniform begrüßte uns am Eingang auf französisch mit militärischem Gruß. Da meine Bundeswehrzeit noch nicht lange zurück lag grüßte ich automatisch, wie ich es während meiner Zeit beim Luftwaffengeschwader II in Geilenkirchen gelernt hatte, zackig zurück und viel so schon das Erste mal auf. Nachdem Dieter seinen Offizierausweis gezeigt hatte wurden wir in einen wunderschön eingerichteten Vorraum geführt und bekamen diverse Getränke angeboten, da unser Tisch noch nicht frei war. Trotz oder gerade wegen meines Schulfranzösisch verstand ich nicht alles. Auf Befragung nickte ich mehrfach und drückte mich zufrieden in den gemütlichen Sessel. Der erste Campari Orange schmeckte gut, die weiteren noch besser und Dieter war bemüht seinen Resttabak in seiner Pfeife genüßlich zu verqualmen, bevor wir in den noblen Speiseraum zu unserem vorbildlich gedeckten Tisch geführt wurden. Schwere Vorhänge umrahmten die Fenster, auf dem Boden gingen wir über dicken Teppichboden, an den Wänden hingen Portraits von ergrauten Männern in Soldatenuniformen mit goldenen Rahmen, große Landschaftsbilder in Öl, an der Decke hingen große schwere Lüster. Der ganze Raum erinnerte mich an die Fernsehserie „Das Haus am Eaton Place“ und hätte dort gut ins Bild gepasst. Jetzt wartete ich nur auf Mr. Hudson, der sich nach meinen Wünschen erkundigen würde. Statt dessen erschien ein Ober mit den großen Wein- und der Speisekarten. Dieter übernahm, wie vorab besprochen, die Konversation in französischer Sprache und bestellte was die beiden Karten und der Notizblock des Obers hergab. Nachdem ich von Dieter erfahren hatte was er für uns beide bestellt hatte, entstand ein Gespräch zwischen uns, das wir allerdings, der Situation und Stimmung angepaßt, in einem Flüsterton angingen. Dann wurde aufgetischt. Im Detail erinnere ich mich auch nach all den Jahren noch genau an die Vielzahl der Speisen. Nach mehreren Amuse-Gueule, den leckeren Entrée Vorspeisen Krabbencocktail, feiner Gemüsesuppe und wechselnden Weinen wurde das Erste von zwei Hauptgerichten aufgetischt.
Ich erinnere mich an einen köstlichen „Berg“ von Chateaubriand, Kräuterbutter mit Kresse, gehaltvoller Sauce Bernaise, einer riesigen gemischten Gemüseplatte und wirklich leckeren Pommes Frittes als eines von zwei Hauptgerichten. Alles war reichlich und köstlich. An den Namen des zweiten Hauptgerichts erinnere ich mich nicht mehr, wohl aber daran, dass es sich um ein Wildgericht mit Preiselbeeren, Pilzen, Kroketten und Gemüse handelte und der Name auf der Speisekarte für mich unaussprechlich war. Nach den beiden Entremets sucré Creme Brulee und einem imposanten Eisbecher mit verschiedenen Früchten und natürlich mit Sahne, orderte Dieter eine „kleine Käseplatte“ für uns zwei, da Käse bekanntlich den Magen schließt.
Dies hielt Dieter aber nicht davon ab zum krönenden Abschluss noch zwei Mokka und zwei Cognags zu ordern. Von dem Erwerb von zwei dicken edlen Zigarren konnte ich Dieter noch gerade so abhalten.
Meine Augen wurden immer schwerer und ein angenehmes Gefühl der Zufriedenheit überkam offensichtlich nicht nur mich.
Dieter`s Pfeife stand bereits wieder unter Volldampf und signalisierte so zum unausweichlichen Aufbruch. Nachdem wir bezahlt hatten versetzte uns der Blick auf die Uhr in Panik. Wir hätten schon längst wieder am Arbeitsplatz sein sollen. So standen wir auf und gingen Richtung Ausgang. Auf dem Weg nach draußen blieb Dieter plötzlich stehen, überlegte kurz, schaute über den gefüllten Bauch nach unten, lachte und ging zu unserem Tisch zurück. Dort griff er unter den Tisch, zog seine Schuhe hervor und zog sie wieder an. Die Schuhe hatte Dieter, so wie Andere beim üppigen Essen aus Bequemlichkeit ihren Hosenbund öffnen, unter dem Tisch ausgezogen um sich so während der Speisung mit seinen Füßen bequem in den dicken Teppich eingraben zu können. Dann beschritt auch Dieter, jetzt vollständig bekleidet, den erneuten Weg Richtung Ausgang.
Nachdem Dieter bei der Ordonnanz die Angelegenheit mit der Addition geklärt hatte, verhalf uns ein anderer Bediensteter in Uniform in unsere Mäntel. Diesmal verabschiedete ich mich ohne den militärischen Gruß zu erwidern. Es machte mir nach dem Essen einfach zu viel Mühe. Nur unter großem Gestöhn kletterte ich in Dieter´s kleinen Fiesta, der mir jetzt noch kleiner vorkam und rauschten Richtung Arbeitsplatz. Dort waren wir überfällig und wurden um 14.30 Uhr von zahlreichen Kunden, die vor der noch verschlossenen Zweigstelle eines Aachener Kreditinstitutes ungeduldig auf Einlass hofften und sich bereits ihre Nasen an der gläsernen Eingangstür drückten, erwartet.
Natürlich fiel uns die Arbeit mit den vollen Bäuchen in der restlichen Schalterzeit bis 16.00 Uhr schwer und nicht wichtige Arbeit wurde auf die nächste Woche verschoben. Ein Königreich für einen Verdauungsschnaps und ein kleines Schläfchen würde uns beiden jetzt gut tun, aber das ging nun mal nicht. Der erwartete Feierabend rückte langsam näher, eigentlich lief die Schalteruhr viel zu langsam für uns. Um 16.15 Uhr verabschiedeten wir uns in Richtung Wochenende. Jetzt freute ich mich auf ein kleines erholsames Päuschen in meiner eigenen Wohnung. Dort angekommen begrüßten mich beim Aufschließen der Wohnungstür leckere und intensive Koch- und Essengerüche. Ich schien noch von meinem Club Mercator Abenteuer zu träumen, doch als ich meine Freundin in der Küche, zwischen verschiedenen Kochtöpfen im Kochdunst umgeben von Dampf wirbeln sah, stellte ich die überflüssige aber doch alles entscheidende Frage: „Was machst Du in der Küche?“. Meine Freundin wollte mich zum Wochenende mit einem tollen üppigen und umfangreichen Essen überraschen. Daher erzählte ich ihr lieber vorerst noch nichts von meinem Mittagserlebnis, da der saftige Braten noch einige Zeit im Ofen verbringen musste und die restliche Kocharbeit auch noch nicht fertig war, schickte sie mich ins Wohnzimmer, wo ich es mir auf der Couch bequem machte und die Kochgeräusche auf meiner Fahrt ins Traumland mit der Zeit immer leiser wurden. Leicht schnarchend, mit einem zufriedenen und glücklichen Gesichtsausdruck ähnlich dem Bildniss von Max und Moritz nach dem Verzehr von Witwe Boltes Hähnchen, holte mich meine Freundin in die Realität zurück. In der Wohnung duftete es herrlich nach leckerem Essen. Der Tisch war gedeckt, die Kerzen flackerten und das Überraschungsmenue angerichtet. Die sinnliche Verführung konnte beginnen.
Als Vorspeise gab es eine selbstgemachte Gemüsesuppe, der Hauptgang bestand aus Semmelklösen mit Schweinebraten, feiner dunklen Pilzsoße und selbstgemachtem Apfelkompott. Als Nachtisch wartete ein großer Karamelpudding auf seine Eroberung. Während des Essens tranken wir reichlich Rotwein, obwohl ich kein Rotweinfan war und dadurch auch nicht wurde. Meine Freundin hatte es gut gemeint, zu gut, alles war köstlich und reichlich vorhanden. Erst jetzt musste ich wieder an Dieter denken, der hätte sich bestimmt auch nicht verweigert. Ich genoss das private Dinner, machte meiner Freundin Komplimente, lobte ihre Kochkunst und zeigte mich so von meiner guten Seite. Ich durfte meine Freundin nicht enttäuschen und nicht schlapp machen. Also machte ich keine Uzen, ich war mir sicher, morgen musste es einfach tolles Wetter geben. Nach dem schweren Essen halfen mir und meinem völlig überlasteten Magen mehrere kalte Ouso wieder in Schwung zu kommen. Doch so richtig in Schwung kam bei all den Komplimenten über ihre Kochkunst zuerst meine Freundin, die nun auch fest daran glaubte, nicht nur eine gute Köchin, sondern auch eine ausgezeichnete Bäckerin zu sein. Sie versprach für den nächsten Tag nach Großmutters Rezept, einen gedeckten Apfelkuchen mit reichlich Rumrosinen zu backen und dazu heiße Vanillesoße und reichlich Sahne zu servieren. Wo ich sonst schon bei der reinen Nennung der Nahrung wie ein hungriger Spürhund die Witterung aufgenommen hätte, versagte ich nun auf der ganzen Linie. Mein Magen, ja mein ganzer Körper brauchte eine Pause und mein Gehirn stand kurz davor den vorher von mir favorisierten Begriff Nahrungsaufnahme für immer aus meinem Gedächtnis streichen. An ein gefordertes Betthupferl war nicht zu denken.
Mit der nötigen Bettschwere, bedingt durch hemmungslose Überfütterung in Verbindung mit Alkohol, rettete mich ein bärenartiger Winterschlaf in den nächsten Tag. Warum ich dabei doch tatsächlich von Dieter, dem Rittmeister der Reserve der Majestät des belgischen Königs träumte, kann ich heute nur noch vermuten.
Der legendäre Club Mercator wurde in den Neunziger Jahren abgerissen und an dessen Stelle wurde ein Seniorenheim gebaut. Was bleibt, sind die angenehmen Erinnerungen an eine offensichtlich sorgenfreie Zeit, ohne Rauchverbot und mit zügellosem Eßvergnügen.
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Uwe Reuters wurde 1960 in Aachen geboren. Nach einer Banklehre arbeitete er in seiner Freizeit als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Musikmagazinen und war in den 80ern und 90ern als Manager für verschiedene lokale und nationale Bands tätig. 1995 moderierte er für kurze Zeit die Musiksendung „Danger Zone“ bei Radio Euro. 1996 erschien sein erstes Buch „Easy Livin’” über die Band Uriah Heep, bis 2007 veröffentlichte er neun weitere Jahresbücher über Uriah Heep. Unter der Adresse futterfuerdieaachenerohren.blogspot.com schreibt er zahlreiche Berichte über die Aachener Schallplattengeschäfte von den 60er Jahren bis heute.
Seit 1996 führt Uwe Reuters in Burtscheid eine Anlage- und Vermögensberatungsfirma.
Guten Tag Herr Reuters!
In den 1980er Jahren kam ich in Zivil mehrmals in den Genuss mit meinem Bekannten, der Fregattenkapitän der Bundesmarine und Mitglied im belgischen Offizierclub Mercator in Aachen war, im Club Mercator Gast zu sein. Ich spürte im Club Mercator eine angenehme und elegante Clubatmosphäre, sehr viel angenehmer als im Offizierheim Gut Neuhaus der Bundeswehr in Aachen, dass eher einer ungemütlichen, hellen Kneipe entsprach. Ich erinnere mich, dass im Erdgeschoss im Club Mercator das Unteroffizierheim der belgischen Streitkräfte und im Obergeschoss die OffizierMesse untergebracht war. Der gesamte Tresenraum der OffzMesse war komplett mit sehr dunklen Holzwandpaneelen und mit Clubsesselgarnituren und kleinen Tischen ausgestattet. Es herrschte dort Dresscode: Sakko oder in Uniform und Krawattenpflicht. Hatte ein Gast kein Sakko mit Krawatte, wurde ihm vom Hause ein Sakko gestellt. Die Krawatte durfte er sich kauf. Es war die Clubkrawatte der königlichen belgischen Streitkräfte. Die Ordonnanzen trugen einen zivilen, dunklen Anzug, hatten sehr gute Manieren und sprachen französisch. Sie wirkten wie zivile Restaurantfachleute in einem 5 Sterne Grandhotel.
Das Essen im Club Mercator entsprach dem eines fast 1 Sterne Restaurant, im Gegensatz zum Offizierheim Gut Neuhaus, das bis heute eher einer hellen Frittenbude gleicht. Es waren zwei verschiedenen Welten, die den unterschiedlichen Geist und Grundverständnis ihrer jeweiligen nationalen Identität und Kultur widerspiegelten. Die Belgier zeigte selbstbewusst ihre wallonische Identität und Esskultur und im OffzHeim Gut Neuhaus spiegelt sich meines Erachtens die gebrochene deutsche Identität wider, sich emotionslos und nüchtern zu präsentieren.
Die Ordonnanz im Club Mercator merkten sofort dass ich und weitere Gäste Deutsche waren. Die Begrüßungsprozedur bekamen wir alle mit französisch hin und ließen den Gastgeber unsere Wünsche in französisch vermitteln. Die Stimmung war bei allen Beteiligten trotz Sprachproblemen ausgelassen und sehr freundlich. Wir fühlten uns als deutsche Kameraden im Kreis der belgischen Kameraden und Ordonnanz sehr wohl und akzeptiert.
Aus ihrem Aufsatz entnehme ich, dass Sie anscheinend im Flugkörpergeschwader 2 in Geilenkirchen ihren Wehrdienst abgeleistet haben. Übrigens leistete ich meinen Wehrdienst als SaZ 4 in der VersStff/FKG 2 und war Mitglied der UHG/FKG 2, später war ich in der Reserve beim LwVersRgt 8 in Mechernich eingesetzt und bin dort Mitglied des sehr angenehmen OHG/UHG Mechernich. Ich habe so mehrere Offizier- und Unteroffzoffizierheime kennengelernt. Club Mercator war das angenehmste und eleganteste Offizierheim mit dem besten Essen, dass ich je kennengelernt habe. Schade, dass Club Mercator abgerissen wurde und die Bundeswehr es nicht schaffen will, diese Kultur so zu pflegen, wie es im Club Mercator üblich war.
A. SF d.R.