Friedrich III. am Kaiserplatz
[Foto: Norbert Schnitzler]
Die Berichterstattung Anfang Juni 2013 in den Aachener Zeitungen zur räumlichen Versetzung des Reiterstandbilds Kaiser Friedrichs III. am Kaiserplatz hat mir eine Geschichte wieder in Erinnerung gerufen, in deren Mittelpunkt tatsächlich der „99-Tage-Kaiser“ stand.
Es war im Jahr vor meiner Einschulung, als das Denkmal erstmals versetzt – dabei leider auch höher gelegt – wurde. Immer wieder bat ich damals meine Eltern beim Passieren des Kaiserplatzes, mir die Denkmalinschrift vorzulesen. „Deutscher Kaiser – König von Preußen“ bietet ja schon Stoff für eine kleine Geschichtsunterweisung, zumal wenn die Frage „Wo liegt denn Preußen?“ mit „Preußen gibt’s nicht mehr“ beantwortet wird, andererseits der Großvater mütterlicherseits beim 1. Garde-Regiment zu Fuß gedient hatte und immer noch vom Garde-Verein schwärmte.
Etwas später, als ich lesen konnte, fand ich eine Tankstelle mit grünen Zapfsäulen an der Ecke St.-Vither-Straße / I. Rote-Haag-Weg “ einer Marke namens „Rheinpreußen“ und dachte, Preußen habe wohl am Rhein gelegen, was ja nicht so ganz stimmte, denn da lag ja lediglich die preußische Rheinprovinz.
Die zweite Frage war, warum Friedrich III. nur so kurz, 99 Tage nämlich, regiert habe. Die immer wieder mit Schaudern angehörte Antwort „ Er starb an einer Halskrankheit, er erstickte“ – Krebs war ein Tabu-Wort – bewog mich dazu, bei grippalen Halsschmerzen Tardamid, Mallebrinetten und Benadryl-Saft klaglos einzunehmen und auch die Rachen- und die Gaumenmandeloperation über mich ergehen zu lassen, und dabei an den bedauernswerten Kaiser vom Denkmal zu denken. Dass dieser Friedrich III. die Hoffnung der Bürgerlichen und Liberalen gewesen war und die deutsche Geschichte – wäre es ihm vergönnt gewesen, länger zu regieren -möglicherweise sehr viel anders verlaufen wäre, lernte ich erst viel später.
25 Jahre später. Mein Vater fuhr mich nach Bonn zum Auswahlwettbewerb des Außenministeriums für den Auswärtigen Dienst, als mir plötzlich einfiel, dass ich meine Manschettenknöpfe vergessen hatte einzupacken. Mein Vater lieh mir sofort seine, die ich seit Jahren kannte: zwei gefasste goldene 20-Mark-Stücke aus dem Kaiserreich mit den Konterfeis Wilhelms I. und Wilhelms II.
An einem der Tage der Prüfungswoche saß ich nach einigen Tests schließlich vor der großen Auswahlkommission zur persönlichen Vorstellung, die pro Kandidat auf ungefähr eine Stunde veranschlagt war. Ziemlich zu Anfang fiel der Blick eines Kommissionsmitglieds auf meine Manschettenknöpfe und ich wurde gefragt, ob ich wisse, wer auf den beiden als solchen erkennbaren Münzen abgebildet sei. Ich gab sofort die zutreffende Antwort, aber er fragte nach: „Aha. Wilhelm I. und Wilhelm II. – Und wer befindet sich dazwischen?“
Ich brachte die Antwort, auf die ich noch heute stolz bin, besonders aber darauf, dass sie mir spontan einfiel und herausrutschte: „Im Augenblick ich (nämlich zwischen den Manschettenknöpfen; ich hob meine Unterarme leicht an) und historisch Friedrich III.“ Das Eis war gebrochen, aber es kam eine weitere Nachfrage: „Was wissen Sie zu Friedrich III?“. Da war ich in meinem Element und krönte meine Darstellung mit der Aussage: „Und in meiner Heimatstadt Aachen steht eines der wenigen, wenn nicht das einzige Reiterstandbild Friedrichs III.
Ich hatte die Kommission „angefüttert“, und mindestens eine Viertelstunde ging es um Aachen. Diesmal ausnahmsweise nicht um Karl den Großen, sondern um die „Franzosenzeit“, Aachen als Hauptort des Roer-Departements, die territorialen Folgen des Ersten Weltkriegs (Eupen – Malmedy – Moresnet) infolge des Versailler Vertrags, die Rheinische Republik und die Separatistenzeit über die Nazi-Zeit bis hin zur Ermordung Oberbürgermeister Oppenhoffs und die Städtepartnerschaft zwischen Reims und Aachen infolge des Elysée-Vertrags. Ich hatte wirklich eine persönliche „Sternstunde“ und dachte: „Rede bloß weiter, dann können sie nicht fragen!“ Und so kam es auch.
Vor ein paar Jahren sprach mich eine ältere Kollegin an und sagte mir, sie sei damals Mitglied der Prüfungskommission gewesen und könne sich der Sache mit den Manschettenknöpfen noch sehr gut erinnern. Ob es die noch gebe. Ich lupfte meine Ärmel, und da waren sie, denn ich hatte sie von meinem Vater inzwischen ererbt. Sie meinte, das „Im Augenblick ich … usw.“ damals sei einfach genial gewesen. Mehr dürfe sie mir nicht sagen, denn die Beratungen der Auswahlkommission seien natürlich als Personalsache vertraulich.
Wie dem auch sei: ich glaube, Friedrich III. hatte 1985 sein Händchen im Spiel und ich glaube, er zwinkert mir zu, wenn ich am Kaiserplatz vorbeikomme. Ich hoffe, sein Denkmal wird im Zuge des neuerlichen Versetzens etwas „tiefer gelegt“, so dass man den Kopf nicht in den Nacken werfen muss, wenn man ihn betrachten will; näher bei den Bürgern, die bis zum Drei-Kaiser-Jahr 1888 große Hoffnungen auf ihn gesetzt hatten und denen er sicherlich kein Schleudertrauma wünschen wird.
Ergänzung
Dietmar Kottmann ergänzt den Beitrag am 10. Juli 2013 per E-Mail um diese interessanten Infos und Fotos:
” … der Platzname rührt vom ehemaligen Brunnen her, der von der Pariser Weltausstellung angekauft und zum Geburtstag Wilhelm I. (o.ä.) aufgestellt wurde. Friedrich III. wurde erst später (m.E. nach am 18.10.1913) im Beisein des Sohnes (Wilhelm II.) aufgestellt. Die Ironie der Geschichte, der Brunnen wurde im WK I eingeschmolzen, der Friedrich nicht.”
Views: 340
Geboren 1955 im Aachener Mariannen-Institut, aufgewachsen nahe Krugenofen, zwischen Kamper-Viertel und Burtscheid. Schulbesuch: Reumontstraße, Franzstraße, Rhein-Maas-Gymnasium. Studium der Geographie, Anglistik und Romanistik. Seit 1986 im deutschen Diplomatischen Dienst; Auslandsposten: Kairo, Jaunde, Bukarest, Nairobi, Lagos (Generalkonsul), Cotonou (Botschafter). Derzeit Sonderbeauftragter für den Sahel.
Fliegt, via Paris, auf dem Weg in die Sahel-Staaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad häufig leider nur über Aachen hinweg. Denkt dabei immer an den Dom und an sein Stammlokal “Labyrinth”, das schon das seines Großvaters mütterlicherseits Theodor Steinhart war; da hieß es noch “Beckers” in der Pontstraße.
Ist betrübt über die Entwicklungen im Pont- und Bergdrieschviertel, wo er sein Standbein hat.