Kichernde Putti

Wenn ich mit der Linie 50 nach Aachen komme fürs Mittwoch-Seminar der RWTH, steige ich An der Schanz aus und laufe häufig durch den Westpark zum Westfriedhof. Ich war da schon so oft, dass die Putti von weitem anfangen zu kichern und mir fröhlich zuwinken. Die Engel verhalten sich etwas würdiger und grüßen mich höflich, erkundigen sich nach meinem Wohl.

An dem gepflegten Grün erkennt man den Respekt nicht nur für die Verstorbenen, sondern auch für die Hinterbliebenen. Ich laufe in die Stille hinein, fühle mich als ob ich in einem aufgeschlagenen Geschichtsbuch bin. Ich sehe Namen, die die Geschichte Aachens geprägt haben. Titel, die sprechen von großer Bedeutsamkeit. Ein Geheimer Kommerzienrat. Zuerst dachte ich, warum posaunen die das herum, wenn es ein Geheimnis ist? Nachher verstand ich.

Monumentale Grabstätten, manchmal reich geschmückt. Die bemooste Frauen, die in tiefster Trauer an und über die Gräber lehnen, auch sie begrüßen mich herzlich. Anfangs waren sie misstrauisch, es gibt anscheinend nicht so viele Menschen, die mit Trauerstatuen sprechen. Eine hat mir mal erzählt wie es war, als sie vom Steinmetz aus dem Felsen befreit wurde, in dem sie eingeschlossen war. So muss ein Mensch sich fühlen bei der Geburt, meinte sie. Ich kann mich daran nicht erinnern, es ist zu lange her.

In der Mitte der Brücke wechsele ich den Glauben. Auf dieser Seite ebenfalls wichtige Personen, sogar eine Prinzessin. Aber auch, genau wie auf der anderen Seite, viele für mich unbekannte Menschen deren Leben genauso wertvoll, wenn nicht noch wertvoller, gewesen sein wird.

Die Gedenkstätte für die Sternenkinder und für die fehl- und totgeborene Kinder. Für mich sind es alle Sternenkinder, ich habe ein Bild dabei. Abends wenn es Dunkel ist, sehe ich sie am Himmel.

Zurück, ich muss weiter. Ich verweile einen Moment im Campo Santo, frage die Statuen, ob es noch  Neuigkeiten gibt, erzähle ihnen etwas von der Außenwelt. Als ich dann weiter gehe, sagen sie: “Schön, dass du da warst.” und versinken erneut in ihre steinerne Trauer.

Mein Besuch endet meistens bei der Gedenkstätte für die russischen Zwangsarbeiter. Ich laufe langsam daran vorbei, Hut in Hand. Ich lese einige Namen. Womöglich merken sie das, wo immer sie jetzt sind und rufen: “He Mitro, he Sofia, jemand hat an euch gedacht. Ihr seid noch nicht vergessen!” Auf einigen der Steine steht ‘Unbekannt’, vielleicht liegt irgendwo in Russland ein Stein auf dem steht: ‘Vermisst, unser Iwan, unsere Olga.’

Dann ist es Zeit den Friedhof zu verlassen. Über die Hollandwiese in Richtung Ahornstraße, genau die richtige Strecke um wieder ein zu schalten.

[Dezember 2014; ursprünglich geschrieben für das Projekt der VHS ‘Meine Stadt schreibt ein Buch’]


 

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1 Antwort

  1. Heinz Kundolf sagt:

    Das ist eine wunderbare Geschichte.
    Danke!

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