Kroddelkring
Seitdem die Aachener den Teufel beim Dombau überlistet haben, hegt dieser eine höllische Wut auf unsere Stadt. Bekanntlich versuchte er schon einmal, sie mit Sand zuzuschütten, doch dies misslang und seitdem besitzen wir den Lousberg. Noch auf mancherlei Art wollte der Teufel sich rächen, zuletzt vor gar nicht so langer Zeit. Da rief er Kroddelkring, einen Hexenmeister, zu sich und schickte ihn mit einem Auftrag nach Aachen.
Hier gab Kroddelkring am nächsten Tag in der Zeitung eine Anzeige auf: „Ältere Damen für interessante Tätigkeit gesucht. Fahrzeug wird gestellt.“
Es meldeten sich nicht wenige Frauen. Kroddelkring suchte von ihnen sieben aus, die er für die boshaftesten hielt.
„Habt ihr euch nicht schon öfters über eure Nachbarn geärgert?“, fragte er sie.
„Oh ja“, erwiderte eine, „sie hindern ihre Kinder nicht daran, ausgerechnet immer dann im Treppenhaus zu lärmen, wenn ich meinen Mittagsschlaf halte.“
„Die Frau von gegenüber grüßt mich seit einem Monat nicht mehr, obwohl ich ihr nichts getan habe“, meckerte die zweite.
„Das Pärchen über mir treibt es wirklich toll. Jedes Wochenende kommt Besuch und dann dröhnt das Haus bis spät in die Nacht von Musik, Lachen, trampelnden Tanzschritten.“
„Ich ärgere mich am meisten über die jungen Leute, die den Elisengarten bevölkern. Sie hocken auf dem Rasen, mit langen Zottelhaaren und zerschlissenen, kaputten Jeanshosen. Bei den meisten weiß man nicht, wer Junge oder Mädchen ist; fürchterlich dieser Anblick, er verdirbt mir die Laune für den ganzen Tag.“
Kroddelkring hörte sich alle Beschwerden an und schmunzelte. „Ihr seid gerade richtig für meinen Auftrag. Alle, die euch beleidigt oder geärgert haben, könnt ihr bestrafen und für Eure Rache an den Übeltätern erhaltet ihr sogar noch eine Belohnung.“
„Das hört sich gut an“, fanden die Frauen.
Von nun an trafen sie sich Tag für Tag mit Kroddelkring. Dieser gab ihnen Unterricht, doch das waren seltsame Fächer, die in keiner Schule gelehrt werden. Gehässigkeit, Bosheit, Falschheit standen auf dem Stundenplan, die Frauen übten sich in Lügen und Hinterlist, in übler Nachrede und Gerüchte-Verbreiten. Eine wie die andere waren sie gute Schülerinnen. Mit jeder Unterrichtsstunde wurden sie unausstehlicher, sie vertrugen sich immer schlechter mit ihren Hausbewohnern und Nachbarn. Dadurch steigerte sich ihr Zorn auf diese immer mehr, denn selbstverständlich suchten sie nicht bei sich selbst die Schuld, sondern schoben diese immer auf die anderen. Schließlich hassten sie alle Straßenbewohner, überhaupt sämtliche Aachener im besonderen und die Menschheit im allgemeinen.
„Heute Abend werdet ihr, bei einem Fest mit großem Freudenfeuer auf dem Lousberg, stolze Besitzer eurer neuen Fahrzeuge“, versprach Kroddelkring eines Tages. „Zunächst müssen wir aber noch in den Wald, Kräuter sammeln.“
Das waren seltsame Pflanzen, die die Damen unter Kroddelkrings Anleitung pflückten: Teufelsblume, Hexenpilz und Krötenkraut, Natternzunge und Spinnenkohl.
Um Mitternacht entfachten sie auf dem Lousberg ein Feuer. Als dieses heftig loderte, überreichte Kroddelkring den Frauen die versprochenen Fahrzeuge: Besen, auf denen man durch die Luft reiten kann. Einige waren enttäuscht, doch Kroddelkring wusste sie zu trösten: „Denkt nur, ihr braucht euch nicht um Verkehrsschilder, Ampeln und Polizisten zu kümmern, ihr geratet in keinen Stau und habt keine Parkprobleme, denn so einen Besen kann man an jede Hauswand lehnen.“ Da freuten sich die Frauen und machten die erste Probefahrt. Hui, jagten sie auf ihren Besen durch die Nacht, sie sausten über das Feuer hinweg und ritten rundherum.
Dann warfen sie auf Kroddelkrings Befehl die Kräuter und Pilze in die Flammen. Schwefelgelbe stinkende Wolken quollen hervor, sie wälzten sich den Lousberg hinunter, legten sich über die schlafende Stadt, drangen durch Fensterritzen und Schlüssellöcher in die Häuser. Die Aachener erwachten. Ihnen war übel, entsetzlich übel. Sie litten röchelnd und hustend unter Atemnot, darum rissen sie die Fenster auf, doch da drang noch mehr Qualm in die Zimmer. Die Menschen liefen hinaus auf die Straßen, lehnten sich gegen die Hauswände, stöhnten, jammerten und fühlten sich sterbenselend.
Vielleicht wäre in dieser Nacht die gesamte Bevölkerung gestorben, hätte nicht eine Blumenfrau vom Münsterplatz einen rettenden Einfall gehabt. Sie schleppte sich zum Katschhof, dorthin wo hinter dem Rathaus das Kräutergärtchen Karls des Großen liegt. Salbei, Fenchel, Melisse, von jeder Pflanze brach sie ein Stängelchen ab, eilte damit, so schnell ihre zitternden Beine sie trugen, auf den Markt. Hier zündete sie ein Feuer an mit den Butterbrotpapieren, die die Touristen tagsüber fortgeworfen hatten, mit Autobusfahrscheinen, Bonbon- und Frittentüten. Als es lustig flackerte, warf sie die Heilpflänzchen hinein. Himmelblauer Qualm stieg auf, tief sog die Blumenfrau ihn ein, und schon ging es ihr besser. Der blaue Qualm breitete sich aus, er drückte die schwefelgelben Wolken zu Boden, die Aachener atmeten auf. Als letztes warf die Blumenfrau ein Blättchen Baldrian ins Feuer, da wurden die Aachener müde, sie gingen in ihre Häuser, legten sich in die Betten und schliefen ein.
Den bösen alten Damen auf dem Lousberg wurde mit einem Mal seltsam zumute, plötzlich warfen sie ihre Besen ins Feuer, sie wussten selbst nicht warum, und gingen gähnend nach Hause. Händeringend, doch vergeblich versuchte Kroddelkring, sie zurückzuhalten.
In dieser Nacht schliefen alle tief und fest; am nächsten Morgen hatten sie die schrecklichen Erlebnisse vergessen. Wer sich doch noch ein wenig erinnern konnte, hielt sie für einen bösen Traum. Die alten Damen staunten über sich selbst, als sie beim Aufwachen mit einem Mal ihre Mitmenschen sympathisch fanden.
Einzig und allein die Blumenfrau, Kroddelkring und der Teufel wussten, was geschehen war. Kroddelkring schlich wie ein begossener Pudel umher, weil er seine Aufgabe so schlecht erfüllt hatte. Der Teufel raufte sich die Haare; wieder einmal waren die Aachener seiner Rache entkommen. Die Blumenfrau verkaufte wie immer auf dem Katschhof ihre Blumen und rieb sich vergnügt schmunzelnd die Hände.
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Edda Blesgen verrät über sich:
Geboren im Jahr 1939, lebte ich bis 1961 in Aachen. Seit meiner Hochzeit wohne ich im benachbarten Belgien. Da ich bis zu meiner Pensionierung im Jahr 1999 bei der Stadtverwaltung Aachen beschäftigt war, fühle ich mich noch immer meiner Heimatstadt verbunden. Das äußert sich u. a. darin, dass ich täglich eine Aachener Zeitung beziehe.
Bisher veröffentlichte ich Märchen, Gedichte und Kurzgeschichten beim Belgischen Rundfunk und in verschiedenen Tageszeitungen. Bei mehreren Wettbewerben errang ich erste und zweite Preise. Für eine Computercommunity (feierabend.de) schreibe ich Kolumnentexte, außerdem Blogbeiträge für die Aachener Zeitung.