WE – eine Geschichte aus den 60er Jahren

Schlagzeug und Elektrogitarre waren wohl das Letzte, woran meine Eltern gedacht hatten, als sie meinem Bruder Günter und mir angeboten hatten, ein Instrument erlernen und spielen zu dürfen.

Bis zum Blockflötenunterricht hatten wir es geschafft, später kam noch für den Hausgebrauch die Hohner Melodica hinzu. Danach ebbte unser Interesse merklich ab, da uns klar war, dass unsere Eltern bei ihrem Angebot vornehmlich Geige oder Klavier im Sinn hatten.

Nun war auch der Musikunterricht an unserem Gymnasium in keinster Weise dazu angetan, Interesse an der Beherrschung eines klassischen Instruments zu wecken – im Gegenteil ist es dem Lehrer B., den wir beide zu ertragen das zweifelhafte Vergnügen hatten, gelungen, fast allen Schülern zu vermitteln, dass sie vollkommen unmusikalisch seien. Ein Tatbestand übrigens, an dem ich für mich ohnedies nie einen Zweifel gehegt hatte.

Günter spielte Gitarre, eine akustische in wenig gutem Zustand, aber immerhin.

Ich glaubte, eine gewisse Fertigkeit beim händischen Mittrommeln der Musik aus dem Radio erzielt zu haben.

Das reichte, um den Wunsch nach einer eigenen Band aufkommen zu lassen.

Schnell waren auch zwei weitere Bandmitglieder gefunden: Peter, der schon seit längerem Gitarre spielte (vornehmlich Lagerfeuer- und Pfadfindermusik) und Rüdiger, der zwar kein Instrument spielte, aber genug Selbstvertrauen besaß, um sich als Sänger anzubieten.

Schließlich wurden wir komplett, als mein Klassenkamerad Manfred beim morgendlichen Warten auf die Straßenbahn von Brand zum Kaiserplatz fragte, welches Instrument (und dessen Bediener) uns denn wohl noch fehle. Dies war eindeutig der Bass, den er dann auch zu spielen versprach.

The WE waren vollständig.

Über die verschiedensten Quellen wurden Instrumente und Verstärker besorgt (mein Schlagzeug in perlweiß mit Sonor- und Trixonteilen fand ich bei einem Pfandleiher, Verstärker wurden geliehen, Gitarren gebraucht gekauft).

Ein Klassenkamerad aus meiner Brander Volksschulzeit hatte in Aachen einen guten Namen als Schlagzeuger, wenn auch Beat und Pop nicht unbedingt zu seinen bevorzugten Stilrichtungen gehörten. Den suchte ich auf, berichtete ihm von meinem Kauf und bat ihn, mir ein paar grundlegende Dinge der Schlagzeugkunst beizubringen. Unverzüglich kam er mit in mein Zimmer, das im Dachgeschoss meines Elternhauses lag – direkt über der Wohnung meiner Großeltern, über die nun plötzlich ein Gewitter aus Basstrommel und Snaredrum hereinbrach. Noch viele Jahre später erinnerte sich meine Großmutter daran – es war nach ihren Aussagen der schrecklichste Geburtstag ihres Lebens.

Nach einiger Zeit des Übens konnten die gemeinsamen Proben beginnen.

Da fügte es sich trefflich, dass Peters Eltern ein Möbelgeschäft in Brand ihr Eigen nannten, das über einen großen Kellerraum, gefüllt mit Mengen von Teppichen, verfügte. Dies war fortan unser gemeinsamer Proberaum, sozusagen das Abbey Road Studio in Brand.

Natürlich übte jeder auch weiterhin zu Hause; Günter und ich hatten das Glück, dass im Hause meiner Eltern ein Kellerraum leer stand, der bis zum Erwerb einer Constructa als Waschkeller gedient hatte. Der wurde nun mit Eierkartons über Styroporplatten an Decken und Wänden verkleidet, um zumindest den Anschein zu erwecken, am Schallschutz interessiert zu sein. Natürlich stand mein Schlagzeug auf einem kleinen Podest…

Zu dieser Zeit Mitte der 60er Jahre schossen Bands wie Pilze aus dem Boden; es gab kaum eine Klasse, in der nicht mindestens einer in einer Beatband spielte. Musik der Beatles, der Rolling Stones, Kinks, Hollies, Who und vieler anderer inspirierte uns, selbst zu Instrumenten zu greifen und – vornehmlich – deren Stücke möglichst originalgetreu nachzuspielen.

Es gab in Aachen und den damals noch nicht eingemeindeten Vororten wohl kein Wochenende, an dem nicht in den unterschiedlichsten Räumlichkeiten Bands auftraten. Bevorzugt waren dabei die Pfarr- und Jugendheime der – meist – katholischen Kirche, die schnell auf die Entwicklung reagierten und der Jugend und ihrer Musik mit dem „Tanz der Jugend“ ein Ventil gaben.

So fand auch unser erster öffentlicher Auftritt in einem Jugendheim statt, dem der Pfarre in Brand. Dort spielten am Samstagabend zwei Bands, und wir hatten die Möglichkeit, in je einer deren Pausen zu spielen – drei Stücke, mehr Zeit bekamen wir nicht (und mehr umfasste unser Repertoire zu diesem Zeitpunkt ohnedies nicht, deshalb spielten wir in beiden Pausen dieselben Songs). Die Resonanz beim Publikum war erstaunlich gut und gab uns Mut für die weitere Entwicklung.

Bald hatten wir genügend Stücke eingeübt, um einen Abend ohne allzu viele Wiederholungen zu gestalten. Auch dieser fand im Brander Jugendheim statt und war ein voller Erfolg.

Von da an spielten wir fast an jedem Wochenende, und wenn mal „spielfrei“ war, so ergab sich oft die Gelegenheit, eine „Einlage“ zu spielen. Dies war im Grunde eine gemeine Sache: Die eigentliche Band des Abends mühte sich über Stunden, und dann kam eine andere Band daher und spielte in der Pause ihre besten Stücke. Ich erinnere mich gut an ein solches Ereignis, als mich zu Hause der Anruf von Manfred ereilte, dass ich unverzüglich in das Pfarrheim Herz Jesu kommen möge, da wir dort eine „Einlage“ spielen konnten. Wer auch immer die Band war, sie hatte keine Chance: Aufgrund des langen Abends musste sie natürlich auch ihre weniger guten Stücke spielen, um „über die Runden“ zu kommen. Und dann kamen wir, spielten unsere besten drei oder vier Songs und waren die Helden des Abends. Das Publikum wollte uns nicht gehen lassen und die eigentliche Band nicht mehr hören…

Die Auftritte in den Jugendheimen der Region endeten oft mit einer Einladung des zuständigen Pfarrers oder Pastors zu einem gemeinsamen Abendbrot; an ein opulentes Salamibrotessen in Breinig erinnere ich mich heute noch.

Wir hatten (gelbe) Plakate drucken lassen, die für uns einen großen Kostenfaktor darstellten. Aus diesem Grund waren sie universell verwendbar angelegt, mit freien Feldern, in die Ort und Datum der jeweiligen Veranstaltung mit dickem Filzstift von Hand eingetragen wurden.

Mittlerweile hatten wir auch unsere eigenen Autogrammkarten – ein Foto der Band, aufgenommen im Garten meiner Eltern, und von mir in meiner Dunkelkammer in Großauflage abgezogen. Die Fotos fanden reißenden Absatz…

Welche Vorteile es haben kann, „berühmt“ zu sein, konnte ich erleben, als ich in den Schulferien zur Auffrischung meiner Finanzen in einem Lebensmittelladen arbeitete. Hierzu war es nötig, einen Kittel zu tragen, den es just im Kaufhof zum Sonderpreis gab. Entsprechend groß war die Nachfrage, und der junge Verkäufer kam kaum nach, Kunde um Kunde mit einem Kittel zu versorgen. Brav stelle ich mich am Ende der Schlange an, als er mich sah und rief: „Bist Du nicht der Schlagzeuger der WE?“, was ich ebenso wahrheitsgemäß wie verblüfft mit „Ja!“ beantwortete. Daraufhin gab er mir Zeichen, an der langen Schlange vorbei zu ihm zu kommen und händigte mir ohne lange Wartezeit einen Kittel aus.

Aber es gab auch Rückschläge: Ein angesetzter Auftritt in der Gaststätte Ellerhof anlässlich der Brander Kirmes fiel folgerichtig dem Ausfall dieser Kirmes wegen eines Unwetters zum Opfer. Die kurzfristig angesetzte „Wiederholung der Brander Kirmes“ (die ja in Wahrheit eine „Nachholung“ war) beinhaltete auch unseren Auftritt – und der wurde, ebenso wie die Kirmes zum ungewohnten Zeitpunkt, zum Fiasko: gerade einmal vier oder fünf Gäste „füllten“ den großen Raum, was zu einer längeren Diskussion mit dem Wirt bezüglich unserer Vergütung führte.

Diese war ohnedies nicht üppig, reichte aber, um uns nach und nach mit besserem Equipment auszustatten. So konnte ich die in meinem Kit enthaltene, recht bescheidene Snaredrum durch den Kauf einer solchen von Ludwig ersetzen – die Marke, die auch Ringo verwendete…

Mittlerweile gab es in der Region Aachen eine feste Bandkultur; neben den „Giant’s“, den „Coalminers“, „Cavedwellers“ und „We“ kamen immer mal wieder neue Bands dazu. Eine nannte sich „Why“, was durch die Namensähnlichkeit dazu führte, dass wir ab und an mit diesen verwechselt wurden. Deshalb versuchten wir, uns durch den Zusatz „Wanted“ als „We-Wanted“ abzuheben. Dieser Name wurde jedoch von den Fans nicht akzeptiert; nicht selten wurde der Namenszusatz auf Plakaten durchgestrichen.

Ende 1966 kam dann auch das Ende der WE: unmittelbar nach meinem Abitur wurde ich zum Wehrdienst einberufen – „Bund“ statt Band. Einem letzten Auftritt im Jugendheim der evangelischen Gemeinde in Stolberg folgte der „Umbau“ der Band: Aus WE wurde NLP.

Dass die Mitgliedschaft in einer Band immer noch nicht problemlos war, was insbesondere die Lehrer betraf, zeigt das Foto auf einem Artikel in der Aachener Zeitung, der vom Übergang der WE auf die NLP berichtete. Um nicht erkannt zu werden, positionierte Günter seine Gitarre so, dass sein Gesicht verdeckt wurde. Als Artikel und Foto veröffentlicht wurden, standen allerdings die vollen Namen der Bandmitglieder darunter…

Ein spätes Kompliment gab es über 40 Jahre nach Auflösung der WE: Ich hatte einen Informatiker meines Alters gebeten, das Tonband unseres letzten Auftritts auf CD zu überspielen. Kurz darauf erfolgte sein Anruf, in dem er mir mitteilte, dass ich ihm wohl ein falsches Band überlassen hätte, da dort ein Liveauftritt der Kinks zu hören sei. Aber – es waren wirklich WE…


 

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1 Antwort

  1. Erwin Collé sagt:

    Lehrer B? Rudolf B? Ich höre ihn noch:”Frühling laß dein blaues Band flattern…….”

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