Campingfreuden am Pilgerborn

Gerade kommen wir aus unserem Sommerurlaub zurück. Wir haben 2 schöne Wochen im Stubaital verbracht und wohnten in einer tollen Ferienwohnung mit Wohn- und Schlafzimmer, Einbauküche mit Spülmaschine, Badezimmer und Balkon. Plötzlich musste ich daran denken, wie der erste Urlaub meines Lebens vor 50 Jahren ausgesehen hat.

Im Sommer 1967, ich war damals 10 Jahre alt, machte unsere Familie (Vater, Mutter und 6 Kinder) zum ersten Mal zusammen Urlaub. Wir campierten unter abenteuerlichen Bedingungen eine Woche lang auf einer Wiese in Roetgen am Pilgerborn. Und das kam so…

Ein Arbeitskollege meines Vaters, Robert G. aus Schleckheim, schwärmte von seinem Campingurlaub, den er mit Frau und Kind verbracht hatte. „So etwas müsstet ihr auch mal machen! Das ist ganz wunderbar!“

Einwände meines Vaters wie “ Wir haben gar kein Zelt und keine Campingausrüstung“, ließ er nicht gelten. Robert würde uns alles leihen. Das Argument „Wir haben auch kein Auto, ich habe keinen Führerschein“, wurde mit „Ich fahre euch, wenn es sein muss auch in 2 Etappen“ entkräftet. „Das wird trotzdem für uns zu teuer. Die Miete für den Campingplatz können wir uns nicht leisten!“ wusste mein Vater noch zu entgegnen, aber auch hier fand sich eine kostengünstige Lösung. Wir sollten unser Zelt auf einer Wiese am Pilgerborn in Roetgen aufschlagen, die einem Freund und ehemaligen Arbeitskollegen meines Opas gehörte, Herrn Alois Mathee. Herr Mathee und mein Opa kannten sich aus der Tuchfabrik Aachen (Charlottenstraße), in der beide viele Jahre zusammen als Weber gearbeitet haben.

Herr Mathee wohnte mit seiner Frau in Roetgen im Wollwaschweg. Sie besaßen 2 Kühe und etwas Land, aber das reichte nicht zum Leben. Weil es in Roetgen keine Arbeit gab, arbeitete er von montags bis samstags in Aachen in der Tuchfabrik, machte sich am Samstag nach Feierabend zu Fuß auf den Weg zurück in die Eifel und montagsfrüh wieder auf in Richtung Aachen, später fuhr er mit dem Fahrrad. Inzwischen war er allerdings Rentner.

http://www.textilmuseum-tuchwerk-aachen.de/abhandlungen/tuchfabrik-aachen-vormals-sueskindund-sternau-ag/

http://www.rheinische-industriekultur.de/objekte/aachen/Aachener%20Tuchfabrik/aachener_tuchfabrik.html

Den Namen „Wollwaschweg“ für eine Straße fand ich sehr lustig. Wurde hier etwa Wolle gewaschen? Im 19.Jhrt stand am Ende der Straße wirklich eine Färberei und Wollwäscherei „I jen Wollweisch“, die der Straße später ihren Namen gab. Nachzulesen in den Roetgener Blättern.

Auf unserer „Camping-Wiese“ entsprang eine Quelle, der Pilgerborn. Sie würde uns Wasser zum Waschen liefern und als Kühlschrankersatz dienen. Zur Bereitstellung von Koch-und Trinkwasser lieh uns Herr Mathee zwei große Milchkannen.

Robert lieh uns sein 4-Personenzelt mit 2 Schlafkabinen, 1 Klapptisch, 3 Klappstühle, ein paar Luftmatratzen und einen Spirituskocher, packte alles in sein Auto und fuhr uns von Aachen nach Roetgen. Weil wir nicht genügend Schlafsäcke hatten, packten wir einfach unsere Bettdecken von zu Hause ein. Zweimal musste Robert hin und her fahren, bis wir alle und das ganze Gepäck in Roetgen waren. Man Vater fuhr mit seinem Moped, damit er vor Ort auch mobil war, um z. B. in Roetgen einkaufen zu fahren. Mein Bruder Heinz fuhr mit dem Fahrrad von Aachen zu unserem Urlaubsziel. Robert half uns noch beim Zeltaufbau, davon hatten wir ja keine Ahnung! Und dann konnte unser Urlaub beginnen!


Unser Zelt

Die Luftmatratzen mussten aufgepumpt werden, in jedem Schlafzelt sollten 3 Kinder schlafen, die Eltern sollten es sich im Vorzelt „gemütlich machen“. In den Schlafkabinen lagen wir „wie die Ölsardinen in der Büchse“, waren sie ja nur für 2 Personen gedacht. Zu dritt hatten wir es recht kuschelig und eng.

Mein Bruder Heinz hatte die Aufgabe bei Mathee Trink- und Kochwasser zu holen. Er befestigte die beiden großen Milchkannen an seinem Fahrrad, fuhr die Pilgerbornstraße bis zum Waldrand runter und dann den Wollwaschweg entlang, bis er zu dem alten Bauernhäuschen der Familie Mathee gelangte. Dort wurden die Kannen mit Wasser gefüllt. Schon leer waren sie sehr schwer, aber mit Wasser gefüllt war das „ein ganz schönes Gewicht“. Wichtig war, dass die Kannen so rechts und links am Fahrradgepäckträger befestigt wurden, das keine Seite übergewichtig war, denn sonst wäre Heinz leicht mit seiner Fracht umgekippt.

Abends nach dem Melken holten wir in einer Milchkanne in der Nähe frische Kuhmilch. Die Milch in der Kanne war noch lauwarm, also wirklich „frisch gezapft“. So wollte sie aber kein Kind trinken! Nur durch die Zugabe von „Kaba“ (der Plantagentrank) wurde sie für uns genießbar. Heute wäre es undenkbar solche Milch zu trinken – weder pasteurisiert, ultrahocherhitzt, noch homogenisiert! Aber wir haben es alle überlebt!

Brot holte mein Vater in der Bäckerei am Ortsende auf der linken Seite von der Bundesstraße und auch die Metzgerei befand sie auf dieser Straße. Getränke kühlten wir in der Pilgerbornquelle. Auf dem Spirituskocher wurde ein großer Aluminiumtopf aufgesetzt, in dem Nudeln oder Kartoffeln gekocht wurden. Auf dem zweiten Kocher, den wir aus unserem Garten in Ronheide mitgenommen hatten, briet mein Vater Fleisch z. B. Koteletts. Zum Essen setzten wir uns auf die Luftmatratzen und die Campingstühle.

Einmal holte mein Vater auch in einer „Frittenbude“ auf der Bundesstraße 8 Portionen Fritten mit Senf. Da hatte die „Hausfrau“ auch mal frei!


Besuch von der Oma, die mal sehen wollte wie wir „hausen“


Papa brät Koteletts, ich gucke zu

Unsere Wiese war von einer hohen Hecke umgeben. Wir waren also ungestört. Autolärm gab es nicht, in der Straße standen kaum Häuser. Unser Zelt hatten wir neben der Hecke aufgebaut, in kurzer Entfernung von der Quelle. Wir hatten auch eine eigene Toilette auf unserem Privat-Campingplatz. Schon ein Wochenende vor unserem Urlaubsstart war mein Vater mit dem Moped nach Roetgen gefahren und hatte aus Brettern unser „Häuschen“ gebaut, einen Holzverschlag mit einem Loch im Boden und einer Art „Donnerbalken“.Er hatte ja schon Erfahrung im Toilettenbau (s.a. unsere Toilette in „Gartenglück auf Ronheide“). Unser Badezimmer war eine große Plastikschüssel. Die sanitären Anlagen waren also eher „bescheiden“! Aber wir hatten alles was wir brauchten.

Die Sonne schien vom Himmel und wir verbrachten herrliche Tage, draußen auf der Wiese. Wir vergnügten uns beim Kartenspielen, wahlweise Mau-Mau oder Autoquartett, Lesen, Federball- oder Ballspielen. Meine Schwester Helma und ich pflückten Binsen, die in der Nähe der Quelle wuchsen und flochten daraus Armbänder oder kleine Körbchen. Mein Bruder Heinz fuhr mit dem Rad bis zum Bach am Waldrand oder ging auf Wespenjagd. In der Nähe unseres Zeltes war nämlich ein Wespennest, und diese possierlichen Tierchen, gingen uns ganz schön auf die Nerven. Sobald sie etwas zu Essen rochen, waren sie da! Gott sei Dank wurde niemand gestochen. Heinz stellte leere Limoflaschen auf, in denen die Wespen von noch vorhandenen Getränkeresten angelockt wurden, und fing sie ein.

Und beim Thema „Camping und Wespen “ muss ich immer an den alten kölschen Karnevalsschlager von Karl Berbuer (1954) denken: „Do laachs do dich kapott,dat nennt mr Cämping“ mit seinem herrlichen Refrain:

Do laachs do dich kapott, dat nennt mr Cämping,
do laachs do dich kapott, dat fingk mr schön,
wenn em Zelt de Mücke un de Hummele dich verjöcke
un do kanns dann nit erus em Rän.
Jo wenn em Zelt de Mücke un de Hummele dich verjöcke
un do kanns dann nit erus em Rän.


Meine Schwester Helma und ich flechten Binsenarmbänder


Annette und Henny


Wir spielen Karten

Es hätte alles so schön sein können!!!! Wenn nicht auf einmal das Wetter umgeschlagen wäre und es nur noch geregnet hätte! Was könnte für einen Camper schlimmer sein als mit 8 Personen in einen 4 Personenzelt auf einer nassen Wiese?!

Wie froh waren wir, als Robert aus Schleckheim kam um nach uns zu sehen. Er half uns beim Zusammenpacken und Zelt Abbauen, und wir mussten unseren Urlaub leider vorzeitig abbrechen.

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4 Antworten

  1. Richard Braun sagt:

    Liebe Hanne,
    wieder einmal ist hast Du ein zeitspezifisches “Abenteuer” erstellt, dass ich als Leser anschaulich nacherleben kann. Klasse!
    Richard

  2. Manfred Haas sagt:

    Hallo liebe Hanne, es ist schön von Dir solche begebenheiten aus jener Zeit zu erzählen . (Urlaub als ganz toll für Eure Familie)
    Viele junge Menschen können sich ja nicht in diese Zeit versetzen, auch warscheinlich nicht vorstellen was es für Eure Familie bedeutete, zu jener Zeit so ein herrliches Urlaubserlebnis zu bekommen!! Ja Euer Vater war schon ein organisations Talent, um so eine herrliche Urlaubs-Möglichkeit zu organisieren, ebenfalls für Eure Mutter war es nicht leicht so einen herrlichen Urlaub für Alle mit zu gestallten. Ich kann mitfühlen was es zu jener Zeit bedeutete, einen Urlaub zu erleben.
    Weiter machen mit solchen wunderbaren Erzählungen. Mfg.Manfred Haas.

  3. Manfred Haas sagt:

    siehe Text:

  4. Rudolf Weishaupt sagt:

    Hallo und danke für diese liebevolle Beschreibung!

    Ich wohne in Roetgen und kann mir alles sehr lebhaft vorstellen. In meiner Straße gab es zum Beispiel bis weit in die 50-er-Jahre keine Wasserleitung, Wasser kam aus dem hauseigenen Brunnen. Wie sich die Dinge verändert haben …

    LG Rudolf

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