Gut Muffet – Wohnen auf dem Galgenhügel
Auf einem hohen Karren hockend, wird die verhärmte Frau beim trüben Klange der Armsünderglocke durch das gaffende und johlende Volk zum Hochgericht draußen vor das Königstor transportiert.
Man schreibt das Jahr 1624, und der Hexenwahn steuert in Aachen seinem Höhepunkt zu. Alleine schon aufgrund einer üblen Nachrede oder Denunziation kann man wegen Hexerei angeklagt werden. Alle paar Wochen werden so genannte Hexen und Zauberer zum Tode verurteilt und auf verschiedene Weise hingerichtet. Nach Zurschaustellung am Pranger auf dem Markt oder Katschhof geht der Geleitzug über die Königstraße den Galgenweg hinauf zum Bauerngut MOFFERT mit den Drei Eichen, heute GUT MUFFET.
MUFFET… schon der Name macht neugierig, hat er doch einen „muffigen“ Beigeschmack. Es fallen einem ähnlich klingende Worte wie Muff, muffeln, oder muffig ein. Und damit ist man der Bedeutung des Namens MUFFET schon dicht auf der Spur. Es schwant einem Schauriges, wenn man dann noch erfährt, dass der Muffeter Weg noch bis ins 19. Jahrhundert den wenig erbaulichen Namen „Galgenweg“ führte. Noch um 1950 waren die Straßenschilder mit „MUFFERTER WEG“ beschriftet. Das wiederum bringt uns näher an den Ursprung und seine Veränderungen im Laufe von 400 Jahren Geschichte. Es gab nämlich den Bauernhof „Gut Muffet“. Auf der ältesten Landkarte des AACHENER REICHES von 1569 heißt er Muffart.
Im Laufe der nächsten 300 Jahre heißt der Hof dann Moffert, dann Mouffert und Muffart, ab 1820 heißt er Muffert und erst ab 1950 endgültig MUFFET. Aber wie kam der Name ursprünglich zustande?
Viele mittelalterliche Abbildungen unserer Stadt zeigen im Westen den Königshügel mit einem Galgen vor Königstor, und es wurden hier und an den sogenannten 3 Eichen am Gut Muffet die Urteile des Schöffenstuhls für besonders schwere Straftaten vollstreckt, die über die „normalen“ Enthauptungen hinaus gingen: Hängen, Vierteilen, Rädern, lebendig Begraben und Verbrennen. Darunter befanden sich auch viele Frauen und sogar Kinder, die als Hexen verbrannt wurden.
Die Gehängten blieben an den Galgen, bis der Strang sich löste. Die toten Körper wurden auch nicht begraben, es sei denn, die Verurteilten hätten noch in den letzten Augenblicken tiefe Reue gezeigt oder sie hätten gute Fürsprecher gehabt, die ihnen noch ein Begräbnis beim nahe gelegenen Melatenhof ermöglichen konnten.
So wird durch den Verwesungsgeruch die Gegend und das Bauerngut sicher den Namen bekommen haben.
Die Scharfrichter des Mittelalters, die die Strafen an Leib und Leben vornahmen, hatten bei den Germanen ehrenwerte Vorgänger: die Priester! Daher war der Beruf des Scharfrichters keineswegs verachtet.
Erst ab dem 17/18 Jahrhundert war der Henker des Bürgerrechts unwürdig. Mit dem Einzug der französischen Truppen änderte sich auch der Strafvollzug und die Guillotine wurde aufgestellt, aber nicht auf dem Galgenberg, sondern im Stadtbezirk zwischen Templergraben und Turmstraße. Aber noch bis in die 50er Jahre waren bei Ur-Aachenern Sprüche präsent in Bezug auf Kriminelle: „DEÄ JEHÜET OP MUFFET“ oder man sagte zu einem Lümmel , mit erhobenem Finger drohend: „DU KÖNS OP MUFFET, WENN DU ESUE WIJJER MAHTS.“
Der Hof GUT MUFFET wurde im Jahre 1966 vom Architekten und Hochschulprofessor Fritz Eller gekauft. Schon halb verfallen, geplündert und vergessen, war aber noch die Würde dieses alten Gehöfts spürbar, und Prof. Eller machte sich mit vielen Helfern an die Rekonstruktion und Restaurierung der Ruine. Er wohnt bis Heute noch dort mit seiner Familie. Das umliegende Land, das zum Gut gehörte, wurde parzelliert und 1968 mit Einfamilienhäusern bebaut. Angrenzend liegt der Westfriedhof mit einer noch existierenden riesigen Eiche, die eventuell noch zu den besagten „3 Eichen“ gehörte.
Trotz dieser etwas schaurigen Vergangenheit hat sich Muffet und Umgebung zu einer beschaulichen und ruhigen Wohngegend entwickelt, wo man gerne lebt.
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René H. Bremen, Jahrgang 1942, ist Aachener, Rentner und arbeitet als Maler und Bildhauer. 35 Jahre lang hatte er Friseursalons in Aachen, nachdem er sieben Jahre in diesem Beruf im Ausland verbracht hatte (verschiedene Orte in der Schweiz, London, Paris und Montreal).
Seit dem Tod seiner Frau 2007 bekleidet er verschiedene Ehrenämter, interessiert sich für klassische Musik und Literatur und reist viel. Er ist Gründungsmitglied des Künstlerkollektivs “Atelier-Kunstdialog”, das seit 2006 besteht.
Manfred
(Samstag, 28 Dezember 2013 17:46)
La mouffette , aus dem Französischen , das Stinktier
Hilla von Agris
(Sonntag, 29 Dezember 2013 11:14)
Dieser Beitrag hat mir sehr gut gefallen. Wie so Vieles aus der Aachener Geschichtenwelt, war mir auch diese unbekannt. Es wird einem soviel an Literatur angeboten, dass die Auswahl da oft schwer fällt. Nun habe ich den Entschluss gefaßt, mich doch wieder etwas mehr mit der Geschichten meiner Heimat zu befassen. Danke!
Walter von den Driesch
(Montag, 30 Dezember 2013 22:17)
Interessante Darlegung, aber bei manchem wäre man doch für mehr Belege dankbar. “Volksetymologie” ist meist wohlfeil – regionale “klassische” Beispiele: “Lousberg”, “Mützenich” -, aber häufig überhaupt nicht zutreffend. Über die gesellschaftliche Reputation von “Scharfrichtern” – gab es die damals als solche überhaupt? – bei den Germanen weiß man, mit Verlaub, … gar nichts. Über die von Scharf- oder Nachrichtern und ihrer Familien spätestens seit dem 17. Jahrhundert hingegen sehr viel; sie waren geächtet. In vielerlei Hinsicht waren sie außerhalb der Gesellschaft, übrigens bis hin zum letzten “offiziellen” deutschen Henker (des Deutschen Reichs, Nazi-Deutschlands und selbst der Alliierten(!), Johann Reichardt, verst. 1972. – Über den behaupteten Aufstellungsort des Fallbeils (Guillotine) während der Franzosenzeit – “zwischen Templergraben und Turmstraße” – wüßte man auch gern mehr.
Wolfgang Marzodko
(Montag, 13 Januar 2014 23:51)
Zu den Scharfrichtern: für meine Begriffe sehr lesenswert, weil informativ Charles Henri Sanson, Tagebücher des letzten Henkers von Paris. Er war übrigens geadelt und Chvalier.
Der Tano
(Mittwoch, 26 März 2014 21:19)
Das deutschsprachige Buch “Der Kavalier Von Paris”, welches vom Leben des Charles-Henri Sanson handelt und von H. M. Mons 1954 geschrieben worden ist, gehört in diesem literarischen Metier zu den Meisterwerken historischer Romane.
http://en.wikipedia.org/wiki/Charles-Henri_Sanson
renate frings
(Dienstag, 24 März 2015 15:45)
Wer hat noch alte Fotos von Gut Muffet?
Oder weiß wo welche vorhanden sind?
Würde mich riesig freuen, wenn ich Fotos geschickt bekomme. Vielen Dank
Edda Blesgen
(Donnerstag, 24 September 2015 09:43)
Sehr interessanter Beitrag!