Klapperstörche im „Alten Klinikum“
Zwischen Goethestraße und Maria-Theresia-Allee liegt etwas versteckt der „Nelson-Mandela-Park“. Hier finden wir die modernen Gebäude der Aachener und Münchener (Generali)Versicherung, die Freie Waldorfschule Aachen, Missio, das “Café Liège”, eine Arztpraxis und das Cafè-Restaurant „Altes Torhaus”. Der Park gilt inzwischen als ökologisch wertvoll und dient der Naherholung der Aachener Bevölkerung. Man findet einige Kunstobjekte, einen z. T. sehr alten Baumbestand, Bienenstöcke und Knotenpunktmarkierungen als Teile des Aachener Wandernetzes.
Vor dem Neubau des Universitätsklinikums in der Pauwelsstraße befanden sich hier die Gebäude der alten „Städtischen Krankenanstalten“. Die ersten Gebäude wurden zwischen 1900 und 1914 errichtet mit zunächst insgesamt 466 Betten. Das Krankenhaus wurde in einem sogenannten Pavillonstil erbaut, d.h. einzelne Gebäude lagen in einer Parkanlage verteilt. Das galt damals unter lufthygienischen Bedingungen als vorbildlich und sehr modern.
Ständige An- und Neubauten wurden erforderlich, so kamen spezielle Häuser für die Chirurgie, Augenheilkunde, Orthopädie (Albert-Servais-Haus, später Haus 1) und ab 1941 die Kinderheilkunde dazu. Im 2. Weltkrieg wurden viele Gebäude zerstört und man begann ab 1945 mit dem Wiederaufbau.
1960 verfügten die Städtischen Krankenanstalten bereits über 788 Betten. Im Jahr 1954 kam hier mein Bruder Heinrich zur Welt, 1 Jahr später „biss der Klapperstorch meine Mutter wieder ins Bein“ und meine Schwester Helma erblickte das Licht der Welt. Als meine Geburt sich dann 2 weitere Jahre später ankündigte, wurde meine Mutter wegen „Überfüllung“ abgewiesen und so kam es, dass ich im Marianneninstitut in der Jakobstraße geboren und in der Kapelle von St. Paul mit „Pauwasser“ getauft wurde. Deshalb darf ich mich auch einen „echten Öcher“ nennen. Ich sag ja immer: „Wer weiß wofür et jut is!?“
1966 geht das Krankenhaus in den Besitz des Landes NRW über und nennt sich jetzt Klinische Anstalten der RWTH. Aber die meisten Öcher gingen nach wie vor ins „Städtische“ um Krankenbesuche zu machen oder um sich behandeln zu lassen. Ab 1967 wurde der Unterrichtsbetrieb für die Medizinstudenten aufgenommen.
Dort wo sich heute die Gebäude der Aachener und Münchener Versicherung befinden, stand früher das Haus 1, das Hauptgebäude, ein hässlicher großer Betonklotz, in dem sich u. a. die Radiologie befand. Wenn Patienten aus Bereichen außerhalb des Albert Servais Hauses in die Radiologie zum Roentgen mussten, wurden die Betten meist von Studenten oder Praktikanten durch den Park hierhin geschoben. So hatte man zumindest einen kleinen Ausflug durch den Park unternommen.
Im linken Trakt, der Männerchirurgie, lagen die Patienten in Zimmern mit bis zu 12 Betten. Morgens ab 4.00 Uhr ging ein „Raunen“ durch die Zimmer, wenn eine junge Studentin kam, um die Patienten zu waschen und zu rasieren, damit sie um 7.00 Uhr fertig waren, wenn die Ärzte zur Visite kamen.
Haus 1 verfügte über 8 Etagen und war daher auch mit einem Fahrstuhl ausgestattet. Mein Schwager Werner, der damals (17J.) mit der Tochter des Krankenhausgärtners befreundet war, hatte über ihn den Job des Fahrstuhlführers bekommen, um sein Taschengeld aufzubessern. Er arbeitete im Schichtdienst, also auch nachts. Er hatte die Aufgabe die Krankenbetten, von denen 2-3 Stück in den Aufzug passten auf die entsprechenden Etagen zu befördern oder auch mal hochschwangere Frauen, kurz vor der Geburt nach rechts oben in die Gynäkologie. Auch hier hatten die Zimmer 12 Betten.
Es gab einen großen Hörsaal für die Studenten, die aber wegen des großen Andrangs z. T. auf den Treppen sitzen mussten. Um noch einen Platz im Anatomie-Präparations-Kurs zu bekommen, musste man auch schon mal abenteuerliche Wege gehen. Die Anzahl der maximal teilnehmenden Studenten wurde nach Kubikmeter Raumluft pro Student berechnet. Nur durch den rechnerischen Nachweis, dass noch „genug Luft“ für 2 weitere Teilnehmer vorhanden war, wurden noch 2 zusätzliche der begehrten Praktikumsplätze frei. Irgendwie muss ich dabei an Corona und an das Lüften von Klassenzimmern denken…
Links neben Haus 1 lag die Kinderklinik mit dem Hubschrauberlandeplatz. Beim Starten und Landen eines Hubschraubers waren immer viele Kinder an den Fenstern und auf den Balkonen, die diesem Ereignis zusahen. Im Krankenhaus gab es feste Besuchszeiten, auch für die Kinder war nicht mehr als ½ h vorgesehen. Das muss sehr schlimm für die Kinder gewesen sein! Aber wie wenig dachte man damals an die Kinderseelen!
Mein Vater Josef war 5 Jahre alt, als er mit einer Diphterie-Erkrankung hier hin musste. Wegen der hohen Ansteckungsgefahr wurde er in einem Pavillon separat untergebracht und durfte keinen Besuch bekommen. Seine Mutter durfte ihn nur sonntags, mittwochs und freitags von 15.00 bis 16.00 Uhr besuchen und durch ein Glasfenster Kontakt zu ihm aufnehmen.
Später musste er nochmal in die Kinderklinik, wegen einer schweren Gehirnerschütterung. Er war mit seiner älteren Schwester Henny auf den Weg in die Annakirche, als er sich von der Hand seiner Schwester losriss und von einem vorbeifahrenden Taxi erwischt wurde. Ein Krankenwagen brachte ihn in die Städtischen Krankenanstalten.
Als Jugendlicher hatte der Besuch des Krankenhauses andere Gründe. Sein Vetter Hubert überredete ihn dazu „Mädchen gucken zu gehen“. Sie liefen durch den Park zur Psychiatrie und winkten den Mädchen in den oberen Stockwerken zu. Diese winkten hinter vergitterten Fenstern zurück und riefen ihnen „aufmunternde“ Worte zu. Das war sicher für beide „Parteien“ ein „highlight“!
Unser damaliger Nachbar, Hubert Siebigteroth (Chorleiter und Musiker) übernahm jedes Jahr im Dezember die Rolle des St. Nikolaus auf der Kinderstation. Und so kam es, dass er in einem Jahr meine Schwester Helma und mich fragte, ob wir ihn nicht begleiten wollten, als seine „Engelchen“. Das fanden wir natürlich total aufregend und spannend. Im Verwaltungsgebäude wurden wir eingekleidet. Herr Siebigteroth verwandelte sich in
St. Nikolaus mit einem prächtigen Gewand, einer Mitra, einen Bischofsstab und einem goldenen Buch. Wir Mädchen bekamen ein weißes Gewand und mit Goldfolie beklebte Pappflügel an. Unter unserem Engel-Kostüm schauten unsere Beine hervor, die in roten Wollstrumpfhosen steckten. „Ihr seht ja aus wie Klapperstörche!“ rief die Krankenschwester, die uns begleitete.
Dann besuchten wir die Kinder auf der Station und überraschten sie mit unserem Besuch und Süßigkeiten.
Im Haus 2 lagerten im Keller die Medikamente, hier arbeite mein Schwager Werner auch eine Zeit lang. Er nahm die Bestellungen der Stationen entgegen, stellte sie zusammen und fuhr die Medikamente dann mit einem Pritschenwagen aus.
Die Räumlichkeiten auf dem Gelände des „Alten Klinikums“ reichten bald nicht mehr aus. Sie „platzten aus allen Nähten“. Es wurden zusätzliche Pavillons im Parkgelände aufgestellt, um Platz zu schaffen. Diese waren schlecht isoliert, im Winter kalt und zugig, z. T. undicht und nach langem Regen feucht. In so einem Pavillon war z. B. das Labor untergebracht, in dem das Personal auch nachts auf Abruf bereit stehen musste um nach Unfällen schnell die entsprechenden Blutgruppen zu bestimmen.
Einige der alten Gebäude stehen unter Denkmalschutz und konnten dadurch dem Abriss entgehen. Wir können sie daher auch heute noch bewundern.
Da sind zum einen die frühere Krankenwageneinfahrt und das Pförtnerhäuschen, in dem sich heute eine Arztpraxis befindet und das zweite Torhaus, die ehemalige Ausfahrt, jetzt das Cafè-Restaurant „Altes Torhaus“. Hier im Torhaus arbeitete mein Schwager auch zeitweise als Hilfskraft. Er kontrollierte die Einfahrt der Krankenwagen und die der Ärzte, die auf dem Krankenhausgelände parken durften. Einmal wurde er Zeuge, als ein Mann sich bei ihm meldete, der mit dem Fuß in den Rasenmäher gekommen war und mehrere Zehen verloren hatte. Er war trotzdem noch selbst mit dem Auto zum Krankenhaus gefahren.
Auch auf dem Gelände der Freien Waldorfschule sieht man noch die alten Gebäude, die die Innere Medizin beherbergten. Dort wo jetzt der Sitz von Missio ist und das Café Liège seine Gäste verwöhnt befand sich die Krankenhausverwaltung, die fest in der Hand der Nonnen war, die sich in vielfältiger Weise um die Angelegenheiten der Kranken kümmerten.
Im Internet findet man 7 sehr wunderbare Kurzfilme von WDR Digit, die verschiedene Bereiche der Städtischen Krankenanstalten um 1960, die Gebäude, die Arbeit der Nonnen und das Gelände zeigen.
- Dienst am Kranken
- Suppe und Gebäck
- Blutprobe und Operation
- Röntgenabteilung
- Krankenpflegeschule
- Kinder im Krankenhaus
- Krankenhausküche
Dazu https://digit.wdr.de/search mit dem Suchbegriff Albert Servais Haus öffnen.
Und zu guter Letzt mein Wunsch an alle Leser und Leserinnen in diesen schwierigen Corona-Zeiten:
Bleiben Sie gesund!
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Hannelore Follmer im April 2015 über sich:
Ich bin Jahrgang ’57 und ein “echter Öcher met Hazz en Blot”. Meine Heimatstadt ist für mich die “schönste Stadt der Welt”. Ich bin verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder.
Eins meiner Hobbys ist das Öcher Platt. Im Verein Öcher Platt bin ich langjähriges Mitglied.