Meine 60er
Los ging es mit den KINKS: „All day and all of the night“. Echt hart und rockig. Zum Ausflippen! Als meine Eltern das zum ersten Mal hörten, gab es nur Kopfschütteln und Unverständnis. Wie konnte man sich diesen Krach anhören?
Natürlich konnte ich – und das Tag und Nacht. Das war 1964, und ich war 13 Jahre alt.
Ein Schallplattenspieler hätte nur etwa die Hälfte gekostet, aber jede Single kostete 3,90 DM oder 4,90 DM, was dann schnell in’s Geld ging. Auf ein Band mit anderthalb Stunden Laufzeit bekam man vielleicht 40 bis 50 Songs. Die meisten Lieder hatten damals eine Spieldauer von wenig mehr als 2 Minuten. Und wenn das Band voll war, ließ man sich bei nächster Gelegenheit ein neues Band für etwa 12,- bis 15,- DM schenken (der Preis für 3 Singles oder eine LP).
Das Tonband kam in die Küche auf das alte große Blaupunkt-Röhrenradio und wurde mit dem 3-poligen Anschlussstecker verbunden, natürlich nur mono.
Sofort nach der Schule wurden als erstes Radio und Tonbandgerät eingeschaltet, und es gab den ersten Disput mit meiner Mutter, die die Hausaufgaben für wichtiger hielt – für mich damals natürlich völlig unverständlich.
Aufgenommen wurde meistens von Radio Luxemburg. Dieser Sender brachte tagsüber „den neuen Beat“, gemischt mit deutschen Schlagern, und war einigermaßen gut über Antenne zu empfangen. So stand man hochkonzentriert vor dem Tonband und wartete auf das Ende der Ansage des Sprechers, um den Aufnahme-Startknopf zu drücken. Am Ende des Liedes wollte man natürlich soviel wie möglich von dem Song draufhaben, aber auf keinen Fall das Geplapper des Ansagers. Also musste man spekulieren, wann der Sprecher vermutlich wieder einsetzen würde. Und oft ärgerte man sich darüber, dass „der idiotische Ansager“ mal wieder in den Titel hinein gesprochen und man keinen sauberen Liedschluss hatte. Nun, das musste man in Kauf nehmen. Dafür konnte man im Rahmen einer Sonntags-Hitparade vielleicht 10 aktuelle Titel und Neuvorstellungen aufnehmen und war glücklich, die Woche über alle aktuellen Hits „rauf und runter“ hören zu können.
Schließlich ging ich mit dem Tonband „auf Reisen“, das heißt, es wurden Kumpels besucht, deren Eltern etwas betuchter waren, und die sich daher bereits eine kleine Schallplattensammlung zugelegt hatten. Zu Rolf war eine längere Busfahrt mit dem schweren Tonband im Gepäck notwendig. Aber am Ende des Tages hatte es sich gelohnt. Auf einem „frischen Band“ befanden sich jetzt die wichtigen BEATLES-LP’s wie „With the Beatles“, „Rubber Soul“ und „Beatles for Sale“.
An einem anderen Nachmittag waren wir zu mehreren Jungs bei Manfred zu Hause. Er hatte eine bis dahin komplette Sammlung der BEACH BOYS-Hits. Wir „surften“ den ganzen Nachmittag lautstark mit und hatten „Fun, Fun, Fun“ (‚till her Daddy takes the T-Bird away). Scherz beiseite, einen Ford Thunderbird konnte man uns nicht wegnehmen, die Platten rotierten weiter auf dem Plattenteller und die Musik war dann schließlich auch auf meinem Tonband drauf. Neben „Little Honda“ waren die TRASHMEN für mich die Entdeckung des Tages. Ihr „Surfin’ bird“ war der absolute Hammer (dessen Schlagzeug-Takt ich damals locker auf der Tischplatte hinlegen und dabei noch mitsingen konnte).
Erst 1966 bekam ich zum Geburtstag den ersten Plattenspieler und konnte mir ab und zu den Kauf neuer Singles oder gelegentlich einer LP von meinem Taschengeld leisten. Genau eine Single und eine LP waren die Erstausstattung zu dem neuen Plattenspieler, wobei anzumerken ist, dass ich diese Erstausstattung selbst bezahlen musste.
Bei der Single handelte es sich um den „Sunshine Superman“ von DONOVAN. Der für die damalige Zeit sehr lange Titel mit einer Spielzeit von über 3 Minuten tönte in diesen Wochen von morgens bis abends aus dem Radio.
Die LP war in gewisser Weise ein neues Erlebnis, da ich nur wenige Titel davon kannte, und der Rest in der Regel keine Hits waren. Was war das also? Natürlich die BEATLES mit ihrem Album „Revolver“. Da waren Hits drauf wie „Yellow Submarine“ und „Eleanor Rigby“, aber das waren nicht meine Favoriten. Zu meinen Favoriten zählten „Taxman“ (vom Text wie auch von der Musik her), „And Your Bird Can Sing“, „Doctor Robert“ und insbesondere „Tomorrow Never Knows“. Keiner dieser Titel war ein wirklicher Hit, aber den richtigen Fans waren sie alle bestens bekannt.
Eines Morgens kam Joachim in die Klasse, als ein Teil der Klassenkameraden bereits an den Tischen saß und die neuesten Informationen zum aktuellen Musikgeschehen austauschte. Er setzte sich mittendrin und schlug mit den Fingern einen Takt auf die Tischkante:
Tum – tam – tum – tamtam – tum – tam – dabbedabbedabdab …
Ich erinnere mich nicht mehr, wer das Rätsel gelöst hatte, aber ich kannte den Titel noch nicht: „Get off of my cloud“ von den ROLLING STONES. Wochenlang hörte man dann immer wieder diesen Takt im Radio: Tum – tam – tum – tamtam – tum – tam – dabbedabbedabdab …
So ging es oft in der Schule. Als die BEATLES ihr “I feel fine” herausbrachten, standen Kalle, Henry und ich wochenlang in der großen Pause in einer Ecke an den Fahrradständern und “spielten” diesen Song. Kalle konnte das anfängliche Gitarrensolo haargenau imitieren, Henry „mimte“ das Schlagzeug und ich war der stolze Sänger: „Baby’s good to me, you know, she’s happy as can be, you know, she said so, I’m in love with her and I feel fine.“
Wir waren die Kings!
Zum Thema KINKS: Einige Zeit später, nach ihrer Trennung, trauerte ich mit DAVE DAVIS um den „Death of a Clown“ – nachdem wir zuvor mit MANFRED MANN soviel darüber gelacht hatten: „Ha, ha said the clown“ – einer seiner frühen Tophits.
Meine Dachgeschoss-Bude war übersät mit Starschnitten und Fotos aus BRAVO, OKAY und MUSIK-EXPRESS. Eigentlich konnte man an keiner Stelle mehr ein Stück echter Tapete erkennen.
Zu dieser Zeit hatte ich mir dann regelmäßig von meinen Jugendstars unbesehen alle Neuerscheinungen gekauft (unbesehen heißt wörtlich: ungehört – also immer wieder eine Überraschung). Eine schlimmere musikalische Enttäuschung, als in dieser Zeit, habe ich später nie wieder erlebt. Ich hatte mir „Pet Sounds“ gekauft. Schon der Schallplattenumschlag der LP, auf dem die BEACH BOYS im Zoo Tiere fütterten, gefiel mir überhaupt nicht. Aber ein neues BEACH BOYS-Album war ein absolutes Muss!
Ich hörte die LP und konnte es nicht glauben. Ich hörte sie noch einmal und noch einmal. Was war das? Das war keine Musik von den BEACH BOYS. Das hatte mit „Surf, Beat, Fun“ absolut nichts zu tun. Aber das war von Brian Wilson ja auch so gewollt. Nur wusste ich das damals noch nicht.
Innerhalb der ersten 2 Wochen schwankte ich zwischen „Tränen vergießen“, „LP wegwerfen“ und die BEACH BOYS hassen und aus meiner Favoritenliste streichen. Trotzdem habe ich mich dazu durchgerungen, die LP – meist abends vor dem Einschlafen – immer wieder zu hören. Nach einigen Wochen hatte ich mich daran gewöhnt. In der richtigen Stimmung waren die melodischen Songs ganz passabel, nein, zum Teil sogar sehr gut.
Apropos: Das „Hören einer LP im Bett“ bedeutete damals, dass man jede ¼ Stunde aufstehen musste, um die LP umzudrehen. Und zum Schluss brummte nur noch der Verstärker.
Aber zurück zur neuen BEACH BOYS-LP. Es handelte sich für die damalige Zeit um einen absoluten Stilbruch. Die Songs waren sehr gewöhnungsbedürftig. In späterer Zeit habe ich allerdings auch diese Musik geliebt. So konnte ich schließlich SINEAD O’CONNOR ohne Schockzustand wochenlang an einem Stück hören. Und – ehrlich gesagt – ohne solche Wegbereiter wie die BEACH BOYS oder die BEATLES hätte es die grandiosen PINK FLOYD- und viele andere Alben gar nicht gegeben.
Ich bin übrigens der festen Überzeugung, dass es viele gute Musik gibt, die man leider nur zu oft (noch) nicht kennt.
Seit Anfang der 90er Jahre habe ich dann alles aus den 60ern auf CD nachgekauft. Und nicht nur auf langen Autofahrten „träume“ ich auch heute noch (natürlich laut mitsingend) mit den BEACH BOYS „… and then I kissed her“, und denke an „My Generation“ und die absolut ausgeflippten Klamotten meiner Lieblingsband THE WHO.
Meine dunkel-/hellblau längsgestreifte Hose fand damals vermutlich nicht nur meine Mutter etwas abartig, aber: „I can’t explain“, denn „I’m a Boy“ aus der Beat- und Hippie-Generation.
Zum Stichwort „Hippie“: Davon könnte ich nun wieder stunden- und seitenlang berichten … Aber das beim nächsten Mal.
Es macht Spaß, mal wieder in die „guten alten Zeiten“ abzutauchen. Vielleicht ist diese kurze Geschichte eine Anregung für andere Zeitgenossen, von ihren Erlebnissen und Eindrücken aus dem vorigen Jahrhundert zu berichten. Es müssen ja nicht nur die 60er sein. Ich bin sehr gespannt.
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Heinz Kundolf, geboren 1951 in Aachen, arbeitet seit fast vier Jahrzehnten bei einem der ältesten noch heute existierenden Aachener Unternehmen, der AachenMünchener Versicherung, heute als Key Account Manager in der zur Unternehmensgruppe gehörenden AMB Generali Informatik Services GmbH.
Seit seiner Jugend interessiert er sich für Münzen. Von der allgemeinen Numismatik kam er zu den Aachener Münzen, zur Aachener Münzgeschichte und damit zur Aachener Stadtgeschichte im allgemeinen. Er ist ein absoluter Fan von Aachen und Karl dem Großen.
Henry
(Donnerstag, 03 Januar 2013 21:50)
Hallo Heinz,
dass ich damals das Schlagzeug bei “I feel fine” nachgeahmt habe, war mir völlig entfallen. Übrigens: Habe gerade die Biographie von Pete Townshend gelesen. Hochinteressant. Zurzeit touren sie mit hauptsächlich songs von “Quadropenia” in den USA und Kanada. Man weiß noch nicht, ob ab dem Frühjahr eine Europatournee beginnt. Lust auf den Besuch eines Konzerts, wenn? Ich habe sie zuletzt 2006 in der Arena Treptow in Berlin gesehen.
Gruß
Henry
Herman Willems
(Dienstag, 27 Januar 2015 18:08)
Wie nachvolziehbar! Es ähnelt meine Jugend, bis auf eines natürlich. Nicht die Beatles bitte, nur die Stones!
LG
Herman