Öcher Sommermärchen 2020

Der Büchel und was aus ihm werden soll

Als ich 1991 (!) mit meinem Büro an den Holzgraben zog, wurde mir davon abgeraten, für mein Auto einen Stellplatz im Büchel-Parkhaus zu mieten: “Das wird sowieso bald abgerissen.” Dreizehn Jahre lang war der innerste Kern der lebendigen Innenstadt meine Heimat und ich weiß, wie es sich anfühlt, dort zu arbeiten und zu leben.

Ich weiß darüber allemal mehr als jeder Architekt oder Gutachter von außerhalb. Ich werde ungehalten, wenn die Stadt jetzt zu einer Art Ideenwettbewerb aufruft – “Stadt machen am Büchel” – und das Formblatt, mit dem man seine Ideen einreichen kann, nur Investoren oder potentielle Mieter eines noch nicht einmal ansatzweise geplanten Gebäudes anspricht. Und wenn eine Online-Diskussion angekündigt wird, zu der die Bürger eingeladen sind, die dann aber so viele technische Hürden überwinden müssen (oder haben Sie etwa ein Kartenlesegerät zuhause?), daß sie aus nachvollziehbaren Gründen ihre Anmeldung zur Diskussion drangeben. Über deren Ergebnisse übrigens bis heute nirgendwo etwas zu lesen war…

Und während ich noch so herumdenke auf meinem bürgerlichen Unmut über den augenblicklichen Umgang mit diesem wichtigen Stückchen Aachen und wie ich meine Gedanken wirksam in moderate Worte kleiden könnte, schreibt mir der unvergleichliche Wendelin Haverkamp mit seinem neuesten Monatsrückblick in der AZ/AN vom 1. Juli genau aus dem Herzen! Daher kommt hier – mit seiner Erlaubnis – als langes Zitat sein großartiger Text:

DER ENDGÜLTIGE MONATSRÜCKBLICK

Schuhkartons gibt’s überall, Aachen gibt’s nur hier

Wenn in einem Werbespot ein Bergsteiger den letzten Felsvorsprung hochfedert, um als erster auf dem Gipfel zu sein, könnte man vermuten, es ginge um eine Lebensversicherung. Oder ein Erfrischungsgetränk. Muss aber nicht. Es kann auch um die Socken gehen, in denen der Held der Berge am Ende in die Arme einer schönen Frau stürzt, die sich überwältigt zeigt: „Oh! Ein Mann in Socken!“

Inhalt von Werbung ist schon lange nicht mehr ein Produkt, sondern ein Versprechen: Wer die richtigen Socken hat, der gewinnt. Im Grunde entspricht das den Aufplusterungsübungen zu Beginn der Pubertät, ich sag mal Klassenfahrt. Unter Knaben war es üblich, die Rangordnung durch Wettbewerbe in den kulturell wichtigsten Bereichen festzulegen: Weitpinkeln, Extremrülpsen und Ausdauerpupsen. Besonders wichtig aber waren die Qualitäten auf dem Gebiet „geschwollenes Sprechen“. Lange dachte ich, die Topleute dieser Disziplin seien in der Werbung anzutreffen, das war ein Irrtum. Die verbalen Superschwellkörper sind im Bereich der sogenannten „Stadtentwicklung“ zu finden.

Wie neulich mal wieder im Oberzentrum Aachen. Namhafte Leuchten der Gesellschaft präsentierten ihre Visionen von einem abgewrackten Parkhaus und vom Campus der RWTH, der die architektonische Einordnung als weltweit größte Sammlung umgestülpter Schuhkartons für sich in Anspruch nehmen darf. Im Neubauviertel daneben ist passenderweise „De Luxe Urban Living“ angesagt in 20-Quadratmeter-Mikroappartements, sprich studentischen Wohnklos. Also „Fully furnished student residence“, das ist voll das „i Live Campus Living“, boah, ey!

Sprachliche Extremschwellungen sind extrem ansteckend. Dementsprechend soll, wo das kaputte Parkhaus ist, nach dem Willen unserer Vordenker ein Ort der „Wissenskommunikation“ entstehen. Man hat die Vokabel „Wissen“ als verbales Schmiermittel für Visionen aller Art entdeckt, und das passt natürlich ideal für eine „Wissensstadt“ wie Aachen, wahlweise „Wissenschaftsstadt“ oder „Wissensregion“, Alsdorf ist ja auch noch da.

Was könnte man Sinnvolleres aus Parkhausruinen machen als ein „Future-Lab-Forum-Wissen“, gedacht als „Kristallisationspunkt wissenschaftlicher Erkenntnis“? Oder einen „wissenschaftlichen Showroom“, was einleuchtet, direkt daneben ist der Puff. Ein „wegweisendes Zukunftslabor“ sei hier möglich, tönt die Stadt, ein „historischer Hotspot“. Wem jetzt noch das allseits beliebte „Leuchtturmprojekt“ fehlte oder irgendwas „Smartes“, dem war schnell geholfen: Von Seiten der RWTH, die in ihrem naiven Stolz nie Zweifel daran lässt, daß sie keine Universität ist, sondern eine drittbemittelte Technikerhochburg, klang es herüber: „Wissen schafft Stadt“! Ein „urbaner Campus“ könne „Leuchtturmprojekt“ sein für ein „smartes Stadtquartier“.

Na also, geht doch. All dieses Marketing-Wortgeklingel ist, wie es Philosoph Harry G. Frankfurt in seinem wunderbaren Buch „On Bullshit“ (Princeton 2005) beschrieb, nichts anderes als Bockmist. Gerade in der „fehlenden Verbindung zur Wahrheit, in dieser Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, wie die Dinge wirklich sind, liegt (…) das Wesen des Bullshits.“

Und dass die RWTH die Stadt nach ihren Bedürfnissen zurechtzimmert, hätte uns gerade noch gefehlt. Woher sollen diejenigen, die hier für ein paar Jahre ihrer Vita Station machen, die Motivation haben, sich dafür zu interessieren, was diesen Ort im Innersten zusammenhält? Vom historischen Bewußtsein für Europa bis zum provinziellen Kleinstadtdenken ist hier alles anzutreffen, der in zweitausend Jahren gewachsene Fleck ist so voller kleingeredeter Schätze und großspuriger Banalitäten, ist zugleich so großartig und kleinkariert, daß nur Eingeborene ihn so lieben können, wie er ist.

Schuhkartons gibt’s überall, Aachen gibt’s nur hier. Und als ich las, dass die Hochschule dieses Jahr Jubiläum feiert, hab ich gedacht: Glückwunsch! Vielleicht denkt sie beim Feiern mal darüber nach, wo sie sich eigentlich befindet. Am besten ohne geschwollenes Sprechen, davon kriegt der Held der Berge nur feuchte Socken. Und am Ende bliebe der Verdacht: Da sind gar keine Wissenschaftler am Werk. Sondern Verkäufer. Adieda!

Ich bedanke mich für diese Worte.

Und hoffe schlußendlich auf die Realisierung der märchenhaft charmanten und so lebensnah vielseitigen Markthallen-Idee… Fast jeder läuft im Urlaub in südlicheren Gefilden beglückt durch Markthallen – warum sollte das denn also in unserem Aachen nicht auch beglückend sein können?

Für die Schönheit, für alle Sinne, für die Lebendigkeit, für die Touristen und vor allem – für uns Öcher!


 

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1 Antwort

  1. Franz Wirtz sagt:

    Der Büchel und was aus ihm werden soll

    Sehr geehrte Frau Ronnenberg,

    ich habe von 1995 bis 2010 in der Ursulinerstraße in Aachen gewohnt. Momentan wohne ich außerhalb von Aachen, verfolge aber weiterhin mit großem Interesse und gleichbleibendem Unverständnis die gegebene »Entwicklung«, insbesondere die der Innenstadt.

    Als ich von Ihrem Unmut las, was verschiedene »Einladungen zur Mitgestaltung« anging, fühlte ich mich an eigene Erfahrungen erinnert. Angesichts zweier verloren gegangener Bürgerentscheide möchten gewisse Kreise verständlicherweise weiteren Überraschungen vorbeugen. Beispielsweise gilt es den Bürgerentscheid, als Instrument der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene, bestmöglich zu unterlaufen:

    https://www.aachenfenster.de/events/event/buergerdialog-zwischen-repraesentativer-demokratie-und-buergerentscheid/
    Auszug:
    Drei Beispiele, die das Dilemma kommunaler Willensbildung und Abwägungsprozesse aufzeigen und die Frage aufwerfen: Wer soll am Ende entscheiden? Ist der Bürgerentscheid wirklich ein taugliches Mittel um die Komplexität der Fragestellungen auf ein Ja-nein zu reduzieren?

    Es gilt den öffentlichen Diskurs beharrlich zu suchen, neue Wege zur Einbindung konstruktiven bürgerschaftlichen Engagements zu finden und die Abwägungsprozesse der letztlich politisch Verantwortlichen transparenter zu machen. Abwägung heißt, dass man es nicht allen recht machen kann und Kompromisse gesucht werden müssen. Was aber bisher als das Salz der Demokratie angesehen wurde, wird immer weniger respektiert geschweige denn akzeptiert.
    Uns entgleitet zunehmend der sachliche Austausch des Für-und-Wider insbesondere über die Enthemmung in den sozialen Netzwerken. Wir müssen Gesprächsformen mit den Bürgern finden, um die Polemik von Wutbürgern zu entlarven. Dazu bedarf es mutiger Politiker, die den Konflikt nicht scheuen, einer qualifizierten Verwaltung, die mehr als die vorgeschriebenen Beteiligungsformen sucht aber auch zuhörender Bürger. …

    Als Einzelperson stünde man langfristig natürlich auf verlorenem Posten. Dank moderner Kommunikationsmittel sollte es allerdings kein Problem sein, – entsprechende Netzwerke vorausgesetzt, – durchaus effektiv gegensteuern zu können. Angesichts der spürbaren Unzufriedenheit großer Bevölkerungskreise lassen sind ausreichend viele Mitstreiter vermuten.

    Mit freundlichen Grüßen

    Franz Wirtz

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