Urig seit eh und je – das Stehgraa
Weil das große Wirts- und frühere Brauhaus Degraa heißt, haben die Aachener die klitzekleine angegliederte Bierschänke – die kleinste Kneipe in NRW – kurzerhand und wahrscheinlich schon kurz nach ihrer Eröffnung 1951 „Stehgraa“ getauft. Obwohl es sogar an der Wand entlang schmale Sitzbänke gibt und gar nicht alle stehen müssen. Der kleine gemütliche Raum, im Sommer dank geöffneter Fenster spontan erweiterbar auf den Bürgersteig, wird beherrscht von einer lang gezogenen, blank geputzten Theke, hinter der meistens die Pächter Cathie und Uwe Maaßen selbst an den Zapfhähnen stehen und ihre durstigen Gäste mit Nachschub versorgen.
Das Stehgraa ist Aachen in Reinkultur – und wer sich als Auswärtiger oder Zugezogener der fröhlichen Geselligkeit anschließt, wird viel Spaß haben. Hier treffen Schauspieler und Musiker des gegenüberliegenden Stadttheaters auf Büromenschen der benachbarten Firmen. So trinkt man gelegentlich ganz zufällig neben einem Prominenten sein Bier, und während der fünften Jahreszeit quetscht sich auch schon mal ein komplettes Karnevalsprinzengefolge auf Stippvisite in die kleine Kneipe. Mit fortschreitender Stunde wird es im Stehgraa immer lebhafter und lustiger, das nicht zuletzt deshalb die geliebte Stammkneipe vieler Öcher geblieben ist.
Von manch prominentem Besucher und außergewöhnlichen Abenden zeugen die vielen kleinen gerahmten Bilder an der langen Wand – hier entdeckt man Johannes Heesters unter Gottfried John, neben Hansjörg Felmy und über Heinrich Schafmeister. Und man beachte die Farbe dieser und aller anderen Wände im Raum: sie wurde, solange das Rauchen in Kneipen noch erlaubt war, sorgfältig von den Gästen zusammengequarzt und soll niemals in das ursprüngliche, nikotinfreie Weiß zurückrenoviert werden. Denn niemand mag sich das Stehgraa als hellen, freundlichen Raum vorstellen! Freundlich sind hier die Menschen, da darf das Ambiente gerne so gemütlich dunkel, ja fast spelunkenhaft bleiben wie – gefühlt – schon immer!
Dieser Text erschien zuerst im Buch “Glücksorte in Aachen” von Uschi Ronnenberg,
erschienen im September 2019; mit freundlicher Genehmigung des Droste-Verlages
dürfen wir ihn hier abdrucken. (Foto im Buch: fotografie-manthei.de)
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Uschi Ronnenberg, geboren 1959, lebt in Aachen seit Beginn ihrer Volksschulzeit. Sie ist freiberufliche Grafik-Designerin mit einigen Zusatz-Skills, liebt die deutsche Sprache und ist vergnügte Patin des Wortes “Weiberkram”. Sie ist seit 2000 verheiratet mit Peter Hoch und 2004 vom Holzgraben in die Soers umgezogen.
2007 rief sie unser-aachen.eu ins Leben und ist seitdem auf Non-Profit-Basis und unter Ausnutzung aller sich bietenden Möglichkeiten beharrlich damit beschäftigt, Mitautoren sowie Aufmerksamkeit für die schönen Ameröllche zu gewinnen.
2019 erschien ihr Buch “Glücksorte in Aachen” im Droste-Verlag, 2023 in zweiter Auflage.