Wunderkind unserer Stadt
Die märchenhafte Geschichte des DAVID CHRISTIAN BONGARTZ alias DAVID GARRETT aus Sicht eines Aachener Fans
Aachen. Die Ouvertüre des Beethoven-Violinkonzerts in D-Dur beginnt. Vier leise Paukenschläge, gefolgt von der Vorstellung des Hauptthemas durch die Holzbläser, leiten den Satz ein, dessen liedhaftes und doch majestätisches Hauptthema eine lyrische Stimmung verbreitet. Nach einer dreiminütigen Orchesterpassage setzt die Solovioline ein. Als der Solist seine Geige anhebt und die ersten Töne auf seiner STRADIVARI erklingen, geht hinter dem Dom die glutrote Sonne unter und die Menschen auf dem Katschhof werden muksmäuschenstill. Es spielt der Aachener DAVID GARRETT.
Fotos: Pressematerial von universal-music.de
Es war ein warmer Sommerabend 1996. Auf dem Aachener Katschhof spielte das israelische Symphonie-Orchester, unter der Leitung des Dirigenten Zubin Mehta. Das Aachen-Konzert war ein ungeplanter Zwischenstopp während einer Europatournee. Es war ein besonderes Ereignis, denn Open-Air Auftritte lehnte Meister Mehta ab. In Aachen machte er eine Ausnahme, speziell für den jungen Geiger, der an diesem Abend den Solopart spielte.
Diesen Moment werde ich nie vergessen. Es war eines meiner schönsten musikalischen Erlebnisse. Bei dem Gedanken daran läuft mir bis heute ein Schauer über den Rücken. Das Konzert wurde ein einzigartiges Klangerlebnis. Die Ergriffenheit des Publikums war fast körperlich spürbar und ich habe bei den Menschen in meiner Nähe so manche Träne gesehen. Der 16 jährige DAVID GARRETT begeisterte.
Obwohl David Garrett schon durch die Medien einem großen Publikum als Wunderkind an der Geige bekannt war, habe nicht nur ich an diesem Abend erkannt, dass hier ein ganz besonderer Künstler auf der Bühne stand.
Das ist fast genau 20 Jahre her. Und der Werdegang von Garrett ist zu einem Triumphzug geworden.
Die künstlerische Entwicklung dieses Ausnahmekünstlers: Er wurde als David Christian Bongartz , Sohn des Geigenauktionators Georg Paul Bongartz und der US-amerikanischen Primaballerina Dove-Marie Garrett 1980 in Aachen geboren. Bereits im Alter von vier Jahren machte er seine ersten Versuche auf der Geige. Geigenunterricht erteilte ihm sein Vater, der nebenberuflich als Geigenlehrer arbeitete. Mit fünf Jahren gewann David den ersten Preis beim Wettbewerb “Jugend musiziert”, woraufhin er in Folge internationale Auftritte hatte. Als er acht Jahre alt war, entschieden seine Eltern, den Jungen unter dem Namen seiner Mutter auftreten zu lassen, da GARRETT geläufiger und internationaler klang als Bongartz. Er trat da bereits mit großen Orchestern auf. Mit Zwölf erhielt er einen ersten Plattenvertrag und stand mit 13 Jahren bereits exklusiv bei der DEUTSCHEN GRAMMOPHON unter Vertrag, als jüngster Künstler in der Musikgeschichte. Zusammen mit dem Star-Dirigenten Claudio Abbado spielte er die Mozart-Violinkonzerte ein. Als “größten Geiger seiner Generation” bezeichnete ihn damals Yehudi Menuhin. Garrett gibt an, zu der Zeit jeden Tag acht Stunden Geige geübt zu haben.
Von 1990 bis 1991 wurde Garrett vom russischen Violinpädagogen Zakhar Bron unterrichtet. Ab 1992 war er Schüler von der berühmten polnischen Violinistin Ida Haendel . Sie war u.a. Trägerin des “ORDER OF THE BRITISH EMPIRE” als eine der Grössen der klassischen Musik. Garrett sagte später, diese Lehrerin habe ihn am nachhaltigsten geprägt. Nach dem Abitur am AACHENER EINHARD GYMNASIUM studierte er, seinen Eltern zuliebe, am ROYAL COLLEGE OF MUSIC in London, obwohl er lieber nach NEW YORK wollte. Er musste bald das College verlassen, weil er nie die Vorlesungen besuchte. Endlich erfüllte er sich seinen Wunsch und zog mit 19 Jahren nach NEW YORK zu seinem Bruder, der dort lebte und studierte. Er entzog sich damit endgültig der Bevormundung seiner Eltern. Er sagte mal in einem Interview: “Mir wurde immer alles aufoktroyiert, was ich spielen sollte, wo ich auftreten sollte und was ich in Interviews sagen und nicht sagen sollte. Immer wenn ich selbst etwas entsscheiden wollte, hat es in der Familie zu Streit geführt. Als ich mich nicht länger bevormunden lassen wollte, habe ich radikal die Konsequenzen gezogen.”
In den folgenden Jahren studiert Garrett an der renommierten JUILLIARD SCHOOL in NEW YORK, Musikkonservatorium und Schauspielschule von Weltruf, berühmt für die aus dem Institut hervorgehenden Ausnahmekünstler, wie z.B. Miles Davis (Jazz-Trompeter), Robin Williams, Kevin Kline (Schauspieler), Nigel Kennedy (Violinist) und Nina Simone (Sängerin). Die Aufnahmeprüfung ist eine der schwierigsten überhaupt und die Studienkosten sind nicht gering, aber definitiv eine Investition für die Zukunft. So arbeitet David in seiner geringen Freizeit als Barkeeper, Tellerwäscher, Putzmann und als Model, um seinen Unterhalt und die Schulkosten zu finanzieren. Denn seine Eltern unterstützen ihn nicht mehr seit er gegen ihren Willen nach NEW YORK gegangen ist. Trotzdem genießt er das New Yorker Leben und die Freiheit. Er holt als junger Erwachsener nun das nach, was andere in ihrer Teenagerzeit hinter sich gebracht haben. Er experimentiert mit Klamotten und Haarschnitten, lässt sich Tatoos stechen und verschiedene Piercings machen. Mit Kommilitonen und Freunden zieht er um die Häuser. In der New Yorker Clubszene lernt er auch immer wieder neue Musikrichtungen kennen, die er später in seine eigene Musik einbezieht. Er experimetiert auf seiner Geige mit seinen Jazz-Kommilitonen und lernt das Improvisieren. Schließlich haben auch viele Jazz und Popmusiker bei der Klassik “abgeguckt”.
Einer der bedeutendsten Dozenten an der JUILLIARD SCHOOL ist der Geigenvirituose ITZHAK PERLMAN. Er sucht sich seine Studenten besonders gezielt aus und unterrichtet auch nur drei oder vier Schüler, obwohl normalerweise ein Dozent 40-50 Studenten betreut. David ist, dank seiner bisherigen Karriere und aufgrund seines bereits hohen Niveaus, einer von ihnen und darauf mächtig stolz.
David studiert außerdem Kompositionslehre und Musiktheorie. So bekommt er endlich, das von ihm gewünschte tiefgehende Wissen über die inneren Strukturen der Musik vermittelt. Er durchläuft Rhythmusübungen und Gehörbildungs-Training und seine Fortschritte werden, nach Jahren ohne Lehrer, wieder regelmäßig kontrolliert. Nach den fruchtlosen Londoner Jahren stürzt sich David mit Feuereifer und Begeisterung in sein Studium. Er beginnt die Musik neu zu entdecken. Es erwacht in ihm wieder neue Leidenschaft für das Geigenspiel und er verspürt große Lust, eigene Musik zu komponieren. Als David vom Kompositionswettbewerb an der JUILLIARD erfährt, nimmt er mit einem selbst komponierten Stück im Stil seines großen Vorbildes Johann Sebastian Bach daran teil. Er kann damit sämtliche teilnehmenden Kommilitonen ausstechen und gewinnt den Wettbewerb.
Seine kompositorischen Ambitionen führen ihn letzendlich auf den angestrebten Weg des “Crossover”, wofür er sich nach seiner Rückkehr nach Europa , bzw. Deutschland, endgültig entscheidet. Als er auf den Entertainment-Vermarkter Peter Schwenkow trifft, wird das der neue Durchbruch. Dieser Mann hat die richtigen Verbindungen und beschert ihm bald volle Konzerthallen und Stadien. Durch seine Vielseitigkeit punktet Garrett von nun an in beiden Fächern, -Klassik und Pop. Das ist bis dahin noch keinem anderen Musiker gelungen. Er wird ein Superstar der Popmusik und obwohl das gestandene Klassik-Publikum ihm das nicht verzeiht, geht er immer wieder mal zurück und gibt hochgelobte Klassik-Konzerte.
In Deutschland ist er in fast allen großen Samstagabend-TV-Shows vertreten und erreicht damit Bevölkerungsschichten, die der Klassik sonst fernblieben. Von 2008 bis 2009 war Garrett Botschafter der Unesco. Von 2008 bis 2010 war er im GUINNES-BUCH DER RECORDE als schnellster Geiger der Welt eingetragen. In einer britischen TV-Show spielte er den HUMMELFLUG von Rimski Korsakow fehlerfrei in nur 66,56 Sekunden. Das sind 13 Noten pro Sekunde. 2010 war sein Album “Rock Symphonies” wochenlang die Nummer 1 der deutschen Charts. 2011 und 2014 erhielt er gleich 3 verschiedene “ECHOS” in den Kategorien Rock-Pop und Klassik des renommierten Preises der Deutschen Phonoakademie.
Es erscheinen immer wieder erfolgreiche Klassik CDs, wie im Jahre 2014 das Album TIMELESS, als er mit dem Israel Philharmonic Orchestra die Violinkonzerte von Brahms und Bruch einspielte. 2013 erscheint sogar ein Rückblick mit Werken verschiedener Komponisten mit dem Titel “14”. Stücke, die er im Alter von 14 Jahren mit dem Pianisten Alexander Markovich aufnahm. Ein Beweis, wie perfekt er bereits in diesem Alter spielte.
INSTRUMENTE: Im Alter von 13 Jahren wurde ihm von der AACHENER TALBOT-STIFTUNG für mehrere Jahre eine Violine, die so genannte SAN LORENZO STRADIVARI von 1718, zur Verfügung gestellt. Seit 2003 besaß er eine Violine von GIOVANNI BATTISTA GUADAGNINI aus dem Jahr 1772 (diese wurde bei einem Sturz 2008 schwer beschädigt). Seit 2010 spielt er wieder eine Stradivari (zur Verfügung gestellt von einem anonymen Besitzer), die sogenannte “Ex A. Busch – Stradivari” von 1716, weil sie von 1913 bis 1933 im Besitz des bekannten Violinisten Adolf Busch war.
Meine letzte Begegnung mit dem Star fand vor 5 Jahren im Aachener Eurogress statt, als er dort im Rahmen eines Klassik- Meisterkonzerts auftrat. Damals hatte ich ein Abo dieser Konzertreihe und dadurch das große Glück, ein Ticket zu besitzen. Hunderte Menschen standen vor den Eingängen, in der Hoffnung, noch eine Karte zu ergattern. Ich hätte ein gutes Geschäft machen können, aber diesen Auftritt wollte ich mir nicht entgehen lassen. Es war zwar nicht mehr der Zauber von 1996, aber ich wurde nicht enttäuscht. Es war ein großartiger Abend mit einem Weltstar und Meister seines Instruments. Gut im Gedächtnis sind mir noch Szenen nach dem Konzert, als David sein Angebot zum Signieren seiner CDs wahrnehmen wollte. Es kam zu Tumulten am Verkaufstisch, als er plötzlich hilflos kreischenden Mädchen und Frauen ausgeliefert war und die Flucht ergreifen musste, da ihm keiner zu Hilfe kam. Ich kam dann später doch noch zu meinem Autogramm.
Sein Erscheinung und sein Image spricht besonders Frauen an, die sich beim Anblick seiner 1,90 Meter athletischen Figur, langen blonden Haaren und seinem schwülen Blick in seine Arme träumen. Wer wäre nicht gern die Freundin eines schönen Klassikrebellen. Zwar hat der begehrte Star immer mal wieder eine neue Freundin, aber zu besitzergreifend sollte sie nicht sein, wenn sie bei ihm bleiben möchte. Er bestimmt, wo es lang geht. In einem Interview sagte er einmal: “Eine Frau wird in meinem Leben niemals die erste Geige spielen.” Seine Verehrerinnen werden sich damit abfinden müssen, dass sie nur seineKonzerte besuchen und ihn von fern anhimmeln können. Er lebt in erster Linie für seine Musik. Und danach kommt lange nichts mehr. Aber er wird auch mit den Dämonen leben müssen, die er gerufen hat, um diese Berühmtheit zu erlangen. Er hat sich in die Niederungen der Pop-Musik herabgelassen, mit allen Konsequenzen. Konzerthallen, wo er im Rahmen von Volksmusik-Veranstaltungen mit Florian Silbereisen und Carmen Nebel auftritt, neben den “Wildecker Herzbuben”, den “Flippers” und Andrea Berg & Co, sind seitdem seine Welt. So sehen manche in David Garrett einen Überläufer, der sein Talent an den Massengeschmack verschwendet. Einst trauten sie ihm eine Zukunft als Jahrhundertmusiker zu. Ein neuer Yehudi Menuhin hätte er werden können, ein Geigengott im Himmel der Hochkultur.
Man kann David Garretts Geschichte als Abstieg lesen oder als Aufstieg, je nach Blickwinkel. So viel Geld, wie in diesen Kategorien, würde er in der Klassik nie verdienen können.Es ist die Partitur eines Verkaufserfolgs, die es hier zu verstehen gilt, die sorgfältig komponierte Verwandlung eines Menschen in ein Produkt.
Auch, wenn er das nicht wahr haben will und sich weiterhin als seriösen Klassik-Geiger sieht. Um das aufs Neue zu beweisen, wird er in diesem Jahr neben seiner “RECITAL-Tour 2016” mit dem Pianisten Julien Quentin, auch noch eine CD mit dem Violinkonzert von Johanns Brahms mit dem Philharmonic Orchester Israel unter Zubin Mehta einspielen. Auch CLAUDIO ABBADO steht weiterhin zu ihm und erklärte, dass er gerne wieder mit David arbeiten würde.
Als ein Wehrmutstropfen in der Karriere von Garrett sollte sich seine Biographie erweisen, die vor ein paar Jahren erschien und zum vorläufigen Zerwürfnis mit seinem Vater Georg Paul Bongartz führte, der eine einstweilige Verfügung gegen das Buch erwirkte. Zu viele Unwahrheiten über Davids Kindheit und Jugend habe der Verfasser in die Lebensgeschichte hinein interpretiert. Angaben seines Sohnes über Zwangsmaßnahmen in der Musikerziehung durch seinen Vater, wie z.B. 8-stündiges Geige-Üben pro Tag und jegliche Abschottung von der Umwelt, ohne Kontakt zu anderen Jugendlichen, seien die Unwahrheit. Eine Gerichtsentscheidung ist noch anhängig.
DAVID GARRETT wird auch in Zukunft der Klassik erhalten bleiben und wird noch in diesem Jahr auf Klassik-Tournee gehen. Er ist nun mal ein Allroundkünstler.
Aachen kann stolz sein auf sein “Wunderkind”, dessen Karrierebarometer immer noch weiter nach oben zeigt.
Quellennachweis : DIE ZEIT, WIKIPEDIA, SUPPORT PAGE
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René H. Bremen, Jahrgang 1942, ist Aachener, Rentner und arbeitet als Maler und Bildhauer. 35 Jahre lang hatte er Friseursalons in Aachen, nachdem er sieben Jahre in diesem Beruf im Ausland verbracht hatte (verschiedene Orte in der Schweiz, London, Paris und Montreal).
Seit dem Tod seiner Frau 2007 bekleidet er verschiedene Ehrenämter, interessiert sich für klassische Musik und Literatur und reist viel. Er ist Gründungsmitglied des Künstlerkollektivs “Atelier-Kunstdialog”, das seit 2006 besteht.